Tagebuch
Frühling in Chattanooga
21.03.24 02:18 Abgelegt in: Tennessee

Gabi im Chattanooga National Military Park, Chattanooga, Tennessee
Nach dem Frühstück brechen wir auf. Morgen fliegen wir ab Atlanta in die Heimat und es musste ein Zwischenstopp her, der einerseits nicht zu weit von Atlanta entfernt ist und andererseits auch noch eine Kleinigkeit zu bieten hat. So fiel die Wahl auf Chattanooga.
Gegründet wurde die Stadt am Tennessee River 1835 als Handelsposten von Cherokee Indianern. Nachdem die Indianer 1838 gezwungen worden waren, die Stadt zu verlassen (auf dem sog. „Trail of Tears“) wurde sie von weißen Siedlern „übernommen“ und erhielt ihren heutigen Namen. Mehrere Eisenbahnlinien und Straßen machten die Stadt schon 1860 zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt - was auch die Unionstruppen im Bürgerkrieg zu schätzen wussten. 1899 wurde hier die erste große Coca-Cola-Abfüllanlage errichtet.
Gegen 12:30 Uhr erreichen wir nach einer ruhigen, musikalischen Fahrt unser Hotel. Das Zimmer ist schon fertig, prima! Es ist eine Art Suite mit Küche und vor allem viel Platz. Letzteres war uns wichtig, weil hier unsere Koffer für die Rückreise gepackt werden müssen. Das ist immer ein ziemlicher Akt, weil über 3 Wochen „Leben aus Koffer und Auto“ zusammengepackt und in zwei Koffer verfrachtet werden müssen. Gabi hat da die Ruhe weg und den Dreht raus - wie bei so Vielem.
Um diese Dinge kümmern wir uns aber zunächst überhaupt nicht. Das Wetter ist super, schon heute morgen waren es 15 Grad mehr als gestern und jetzt haben wir 22 Grad im Schatten. Also ab ins Auto und auf neue Entdeckungstour - alles schaut so frühlingshaft aus hier. Der Bürgerkrieg hat vor allem am sog. „Lookout Mountain“ seine Spuren hinterlassen. Andererseits bietet der Berg aber auch fantastische Tiefblicke auf Stadt, Tennessee River und Umgebung.
Die Straße windet sich den Berg hinauf. Überall blühen Bäume in rosa und weiß und sattes grün empfängt uns ebenfalls. Einen ersten Stop legen wir bei der „Chattanooga Incline Railway“ ein. Die Standseilbahn wurde 1895 bereits in Betrieb genommen; das oberste Stück ist mit einer Steigung von 72,7 Prozent eines der steilsten Bahnsegmente der Welt. Wir gehen bis zum Aussichtspunkt des oberen Bahnhofes und sehen die Bahn kommen. Gewaltig, wie steil sie hier herauf klettert. Wir machen Fotos - Partnerlook in oranje!
Innen im Bahnhof gibt es einen kleinen Andenkenladen, der aber auch allerlei sonstiges Zeugs verkauft, unter anderem Bücher. Zwei haben mich gleich besonders angesprochen, die Titel muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Freie Übersetzung: „Zieh deinen Bauch ein und leg etwas Farbe auf - was Südstaatenmütter ihren Töchtern erzählen und was ihr alle auch wissen müsst“ und noch besser „Tot sein ist keine Entschuldigung - der offizielle Südstaaten-Frauen Ratgeber, die perfekte Beerdigung auszurichten“.
Es sind nur noch wenige hundert Meter bis zum Point Park, dem Chattanooga National Military Park. Den hatten wir gar nicht so richtig ausgearbeitet und auf der Rechnung - das hat sich aber super gelohnt. Hier auf der nördlichen Spitze des Lookout Mountain wurde 1863 die „Schlacht über den Wolken“ gefochten. Zu sehen sind alte Kanonen und Monumente. Der eigentliche Knüller aber ist die grandiose Aussicht über die Stadt. Wir finden gleich mehrere schöne Fotospots, u.a. auch den Blick auf den „Moccasin Bend“, wo der Tennessee River eine 180-Grad-Schleife bildet. Es wird sehr anschaulich dargestellt, wie die Truppen damals mit ihren Kanonen hier den Berg und die Stadt verteidigt haben. Heftig, sich das vorzustellen!
Jetzt fahren wir aber in die Stadt. Attraktive Gebiete sind der Chattanooga-Choo-Choo District um den alten Bahnhof, der als Park angelegte Tennessee Riverwalk (um das Aquarium und am Fluss) und die restaurierten Straßenzüge in der Innenstadt, wo es auch zahlreiche Restaurants und Kneipen gibt.
Dies alles schauen wir uns an, stellen den Wagen in einem Parkhaus am Bahnhof an und suchen zunächst den „Cho Cho“ auf. Bereits die Entwürfe des 1909 fertiggestellten Bahnhofgebäudes erhielten 1903 den 1. Preis der Paris Beaux Arts Competition. Der 1970 stillgelegte Bahnhof wurde 1974 zu einem attraktiven Freizeitareal umgestaltet. Das alte Bahnhofsgebäude dient nun als Foyer für die Unterkunft. Waggons, Bahnsteige und Nebengebäude bieten Restaurants, Cafes, Pubs und manchmal auch Livemusik. Einige der alten Schlafwagen auf den Gleisen sind zu Hotelsuiten umgestaltet worden. Der Chattanooga-Choo-Choo war der erste öffentliche Personenzug, der ab dem Jahr 1880 die Nord-Süd-Route fuhr. Natürlich hören wir bei der Anfahrt auf den letzten Metern Glen Millers gleichnamiges Meisterwerk.
Im Umfeld des Bahnhofs hat sich ein interessantes Stadtviertel entwickelt, geprägt durch eine Mischung aus Shoppingmalls, Restaurants, Cafes, kleinen Geschäften entlang der Market St. und alten, z.T. noch leeren Lagerhäusern.
Direkt gegenüber dem Bahnhof befindet sich die „Chattanooga Whiskey Experimental Distillery“. Sie ist ebenso wie die im Bahnhof gelegene „Gate Eleven Distillery“ Teil des Whiskey Trails. Also holen wir uns unsere Stempel ab. In der Experimental Distillery lassen wir uns sogar zu ein paar kostenlosen Samples verleiten. Sie geben sich echt Mühe, sind super freundlich und haben leckere Tropfen im Angebot.
Die Market Street führt bis zum Tennessee River und Tennessee Aquarium. Die gut 2 km, also 30 Minuten Fußweg haben wir schnell erledigt. Wir schauen uns „Downtown“ noch etwas um, spektakulär ist es hier aber nicht. An der Brücke zum Fluss steht eine Bronzestatue mit dem Titel „Frühling“ - na bitte, das passt doch zum Tagesmotto. Mit dem kostenlosen Trolley fahren wir zurück zum Parkhaus.
Nun haben wir Hunger und Durst. In den letzten 30 Minuten ist die Entscheidung gereift, nicht hier in der Stadt zu essen, sondern in der Nähe des Hotels etwas zu finden. Kurzer Google-Check: Jonathan’s Grille scheint geeignet. Das entpuppt sich als ziemlich große Sportsbar mit Außenbereichen. Wir bekommen einen Tisch vorne auf der Sonnenseite. Der Kellner fragt, ob wir zur Happy Hour 2 Getränke zum Preis von einem haben wollen? Warum nicht, Durst haben wir! 5 Minuten später stehen 2 große Cider und Biere vor uns. Da machen wir mal wieder Augen, dachten wir doch, wir bekämen das nacheinander. Immerhin wurden wir hier nicht nach den Ausweisen gefragt, wie sonst so oft. Gestern Abend in Gatlinburg hätte Gabi fast kein Cider bekommen, weil sie keinen Ausweis dabei hatte. Glücklicherweise hatte ich ihn auf dem iPhone griffbereit. Andere Länder …
Mein „Cowbow smashed Burger“ mit Onion Rings ist klasse, auch Gabis Nudeln mit Huhn sind super gewürzt. Es war nur mal wieder viel zu viel.
Zurück am Hotel setzen wir uns noch kurz in die untergehende Sonne - die Farbstimmung war schon beim Essen fantastisch und versüßt uns den letzten Urlaubsabend. Jetzt ist das Tagebuch fertig und ich mache langsam Feierabend. Gute Nacht - einmal melde ich mich noch, allerdings erst von zu Hause und das passiert irgendwann am Wochenende. Liebe Grüße aus den Südstaaten!!
Tagesetappe: 283 Kilometer
Übernachtung: TownePlace Suites by Marriott Chattanooga South, East Ridge, 6801 Ringgold Road, Chattanooga, 37412
The Moon is shining
19.03.24 03:23 Abgelegt in: Tennessee

Gabi in der Tennessee Legend Distillery, Sevierville, Tennessee
So, die beiden letzten Tage sind online und hier kommt der heutige Tag - ohne Internet geht nun mal nicht viel. Das war im Club Hotel Nashville leider massiv gestört - bei uns ging fast nix. Ansonsten war das Zimmer super und die ruhige Lage im Osten Nashvilles genau richtig. Um kurz vor neun sind wir unterwegs, es liegt eine längere Fahr vor uns inkl. erneuter Zeitumstellung.
Frisch ist es heute in Nashville und offensichtlich im ganzen Land. Als wir starten sind die Temperaturen gerade mal so über dem Gefrierpunkt. 10 Grad plus soll heute die Höchsttemperatur werden. Dabei ist strahlend blauer Himmel, tolles Wetter. Ich ziehe dann aber doch mal was langärmliges an.
Die Fahrt vergeht erstaunlich schnell. Siri spiel auf Wunsch alle Musik, die wir hören möchten. Gerne lassen wir uns mal etwas näher bekannt machen mit den Künstlern, von denen wir gestern so viel gehört und gesehen haben. Taylor Swift, Linda Ronstadt, die Everly Brothers, die Eagles und viele andere erfreuen uns mit ihrem Gesang. Zwischendurch noch mal tanken, dann könne wir die Interstate 40 schon verlassen.
Wir erreichen Sevierville, die Smoky Mountains sind schon zu sehen. In Lynchburg hatten wir „Whiskey-Trail-Pässe“ bekommen. Dort sind viele Distillerys aus Tennessee aufgeführt, die man besuchen kann und die einem den Pass abstempeln. Außerdem gibt es einen Chip der Distillery wie man sie aus dem Spielkasino kennt. Wenn man alle Stempel beisammen hat bekommt man ein Pokerspiel geschenkt. Werden wir nicht schaffen. Sammeln macht dennoch Freude und die Chips oder Coins sind gut!
Hier in Servierville sehen wir eine Moonshine Distillery am Wegesrand und halten an: Tennessee Shine Co. Sie nehmen aber nicht teil an diesem „Whiskey Trail“-Dings. Dafür kann man kostenlos einige Räume besichtigen und mehr über den Moonshine erfahren. So wird in der Distillery heute üblicherweise der Rohbrand genannt. Herkömmlich ist Moonshine aber der Begriff für schwarz gebrannten Schnaps, der „bei Mondschein“ heimlich hergestellt wurde.
Der Rundgang ist zunächst interessant. Es werden die Umstände gezeigt, unter denen Moonshine früher und heute hergestellt wurde/wird. Dann lernen wir den besonderen Humor der Gegend hier kennen. Da ist ein ausgestopfter Bär - wie man sie hier häufig sieht. Gabi nimmt sich Tiny und setzt ihn auf den Zaun neben dem Bären. Da brüllt das Tier so plötzlich und ohrenbetäubend los, dass meine Apple-Watch Lärmalarm gibt. Ok, kam vom Band, irgendwie mit Infrarotmelder oder so. Dennoch habe ich mich zunächst sehr erschrocken. Man weiß ja nie. Zwei Minuten später gehe ich in den nächsten Raum und da ist direkt hinter der Tür links eine Art Besenkammer und drinnen sitzt einer - auf einen elektrischen Stuhl gefesselt, den schwarzen Sack über dem Kopf (das Foto habe ich wieder rausgenommen aus der Auswahl - zu gruselig und ernst, das Thema). Ok - reicht, wir fahren weiter.
Wenige hundert Meter weiter liegt dann die Tennessee Legend Whiskey Distillery an der Strecke. Hier bekommen wir Stempel und Münzen und dazu darf Gabi einige gut gefüllte Fingerhüte voll probieren. Freie Auswahl - 8 darf sie kostenlos, sie nimmt 4. Sehr vernünftig! In der Dekoration ist auch noch St. Patrick’s Day. Käufer des Moonshine unterstützen auch die Veteranen - ein weiteres Thema, das uns hier überall begegnet.
Einige Kilometer weiter steht die Welt auf dem Kopf - wir erreichen Pigeon Forge. Der Ort ist „Americana pur“. Bunt, voll, kitschig, aber eben auch bodenständig und familienfreundlich. Innerhalb von 3 Jahrzehnten hat sich das Örtchen, u.a. Dank des Einsatzes von Dolly Parton zu einem wahren Mekka der Country-Musikfans etabliert. 12 Millionen Besucher kommen jedes Jahr und über 20, zumeist hochklassige Dinner-Shows werden mindestens ein Mal am Tag angepriesen. Das ist eine Mischung aus Hollywood, Las Vegas, Disneyworld und Alice im Wunderland.
Das „Wonderworks“-Haus steht tatsächlich auf dem Kopf. Wir gucken kurz rein, alles kopfüber. Man kann dort Touren und „Rides“ buchen; die Warnschilder sagen, dass einem schlecht werden könnte. Springbreak - die Familien lieben es offensichtlich. Auch auf der anderen Straßenseite liegt ein Haus schräg.
Wir fahren etwas weiter und da befindet sich ein Titanic-Nachbau am Straßenrand. Es enthält das größte Titanic-Museum der Welt. Hier kann man die Fahrt und den Untergang des legendären Schiffs hautnah miterleben und selbst an den nachgebildeten Ereignissen teilhaben. Der Gründer des Museums war der erste Sponsor für die Suche der tief auf dem Meeresgrund ruhenden Titanic. Sogar der Eisberg und die Bugwelle sind da.
Daneben ist „Hatfield & MacCoy Dinner Feud“, eine Farm mit lustiger Deko. Tiny hat seinen Spaß. Hier findet regelmäßig eine dieser Dinner-Shows statt.
Das „Sunliner Diner“ ist einem Airstream Wohnwagen nachempfunden und erinnert stark an die 50er-Jahre. Sehr schön, wir gucken kurz rein, hier kannst du deinen Burger im Cadillac essen. Und wieder gegenüber hängt King Kong am Hochhaus; er hat gerade einen Flieger aus der Luft gepflückt. Es handelt sich hier um das „Hollywood Wax-Museum“. Am Ortstausgang liegt dann noch „Dollywood“, die Hauptsehenswürdigkeit des Ortes. Hier finden Fans einen Vergnügungspark mit Souvenirshops, einer historischen Eisenbahn, Countrymusic, Dinnershows, nachgebauten alten Häusern, einem Wasserpark, der schnellsten Holzachterbahn der Welt etc. - Dolly Parton lässt die Kassen klingeln. Wir halten hier nicht an.
Statt dessen erreichen wir Gatlinburg, das Tor zum Smoky Mountain NP, der direkt nebenan liegt und morgen von uns erkundet wird. Heute lassen wir uns im Visitor Center beraten und wissen nun, was wir morgen machen. Kartenmaterial, den Parkausweis für morgen (5 Dollar, dafür kein Eintritt) und genügend Sticker nehmen wir gleich mit.
Wir haben ein Zimmer in der „Greystone Lodge on the River“ gebucht. Das ist ebenfalls sehr schön, hat einen Balkon mit Blick auf den Fluss und unser Auto steht nur wenige Meter entfernt sicher in einer Garage.
Wir gehen nochmal los und kehren als erstes bei der Gatlinburg Brewing Company ein. Das Team hier ist super drauf, entspannt. fröhlich, gut gelaunt; man tanzt bei der Arbeit und hat sichtlich Spaß. Das wirkt ansteckend und wir trinken Cider und Bier vom Fass. Die Pizza wird ganz frisch vor unseren Augen zubereitet und zwar in einer Größe, dass jeder eine nach seinem Geschmack bestellen kann. Toller Programmpunkt.
Als wir etwas tipsy wieder auf der Straße sind reiben wir uns die Augen: da gegenüber ist ein Trump-Shop. Ja: richtig gelesen: ein ganzer Laden mit Fahnen, Wimpeln, Stickern, Mützen, Bannern und nur einem Thema: Trump - und gegen Biden. Ich hätte viel für möglich gehalten, so etwas nicht. Die Südstaaten sind sicher eher Trump-nah, das haben wir in den vergangenen Wochen gespürt und gesehen. Diese Art der „Wahlwerbung“ ist neu für uns.
Da gehen wir doch noch einen Kilometer die Hauptstraße rauf und wieder runter. Ziel: die „Sugarland Distillery“ und die „Ole Smoky Mountain Distillery“. In der ersten gibt es Stempel und Coins, in der zweiten ein kleines Tasting. Die Whiskeys sind gar nicht so schlecht. Die z.T. quietschbunten Moonshines, die oft aromatisiert werden, sind nicht so mein Ding. Draussen spielt Live Musik bei Eiseskälte. Der Gitarrist friert nicht, Banjo, Fiddle und Bass haben aber wenig Naturneopren.
Alles hier ist ebenfalls bunt und auf Familienunterhaltung ausgelegt - ganzjährig. Es ist aber alles etwas kleiner und netter aufbereitet als in Pigeon Forge. Manche Ladenzeilen wirken wie aus dem Märchenland. Allerdings sind hier z.B. Waffen auf dem Gelände willkommen - es wird darum gebeten, diese aber im Holster zu tragen, solange das vertretbar ist - andernfalls soll man sich „vernünftig“ verhalten. Tja, das ist schon anders hier als bei uns zu Hause.
Die Sonne verschwindet und nun wird es noch kühler. Zeit für uns, das Zimmer aufzusuchen. Morgen wollen wir früh los. Das Tagebuch ist fertig, nun noch die Bilder aussuchen und bearbeiten. Gabi steuert täglich tolle Fotos bei, die sie mit ihrem iPhons schießt und bearbeitet. Das muss auch mal lobend erwähnt werden - super! Liebe Grüße, die Moonshines zogen sich durch diesen Tag, ob der „echte“ auch noch um die Ecke kommt, werde ich kaum erleben - das Reich der Träume ruft.
Tagesetappe: 344 Kilometer
Übernachtung: Greystone Lodge on the River, Gatlinburg, 559 Parkway, Gatlinburg, TN 37738-3201
Jacks 'n' Johnny
17.03.24 03:18 Abgelegt in: Tennessee

Jürgen im Jack Daniel Visitor Center, Lynchburg, Tennessee
Das Rezept des Tages? Man nehme 2 Jacks und füge einen Johnny dazwischen - schon ist der perfekte Urlaubstag geschaffen! Keine Sorge, ich kläre das auf!
Doch zuvor: gestern Abend haben wir erwartet, in dieser Nacht kein Auge zumachen zu können. Das einfache Motel besteht offensichtlich nur aus Bretterwänden, es reisen noch spät Gäste an, Fernseher laufen, von allen Seiten Geräuschkulisse inklusive Hundegebell. Doch wir sind müde genug und schlafen irgendwie ein. Als ich dann wach werde staune ich: die Nacht in um und wir haben erstaunlich gut geschlafen.
Um 09:00 Uhr müssen wir im Visitor Center der Jack Daniel Distillery sein. Da wir schnell eingepackt haben ist noch etwas Luft. Frühstück? Hier im Motel gibt es nix außer einem dünnen Kaffee. Nebenan ist ein Subway und es ist Samstag - noch geschlossen, war ja klar. Ich fahre die kurze Strecke bis zum General Dollar an der Hauptstraße, kleiner Supermarkt, alles mögliche zu kaufen - nur keine Sandwiches oder Subs o.ä. Tiefgefroren (!) Wären die zu haben, aber was sollen wir damit?
Also packen wir Tiny ins Auto, geben die Zimmerkarten ab und fahren noch kurz in die „Historic Downtown“, die wie gestern beschrieben nicht mehr zu bieten hat als ein Mini-Karree von Shops. Alle zu, einer auf: der „Southern Perks Coffee Shoppe“ - passt. Wir lassen uns 2 große Latte in unsere Yeti-Becher füllen und vermeiden damit einmal mehr die Verschwendung von Plastik. Die Zeit reicht sogar, uns noch 2 Bisquits mit Bacon, Ei und Käse zubereiten zu lassen. Schönes Cafe, wir verputzen unser Frühstück noch vor Ort und sind 3 Minuten später am Visitor Center. Ready for Whiskey.
Die Lage der Destille inmitten weiter Waldgebiete und am Rand diese mehr oder weniger verschlafenen Farmernests, in dem sich alles nur um den „Jack“ dreht, ist schon was Besonderes. Wir stehen auf der Liste, ich zahle 30 Dollar für 90 Minuten Tour inkl. Tasting pro Person und dann schauen wir uns die Ausstellung im Visitor Center an. Schön gemacht, inklusive Erklärstation, wie sie hier den Whiskey herstellen. Das kennen wir im Grundsatz, es gibt aber wesentliche Unterschied des Bourbon zum Scotch: zunächst ist es in ganz Amerika so, dass zur Lagerung des hier als „Moonshine“ bezeichneten Rohdestillats ausschließlich „Virgin Oak“-Fässer genutzt werden dürfen. Das heißt es müssen immer frische Fässer her aus amerikanischer Eiche. Das gefällt den Schotten, die die „first fill Bourbon-Fässer“ nach ihrer Nutzung kaufen und für ihre Lagerung benutzen; die Fässer bringen schon etwas Bourbon-Geschmack mit und das tut dem Whisky oft gut. Später veredeln die Schotten ja vielfach durch Umfüllen in andere Eichenfässer (Sherry, Port, Wein etc.) - das ist hier nicht so verbreitet.
Der „Tennessee Whiskey“ hat aber eine weitere Besonderheit: der Moonshine wird vor der Lagerung im Fass durch gut 3 Meter hoch aufgeschichtete Holzkohle geträufelt und so gefiltert. Fuselalkohole, Fette etc. werden so herausgefiltert und es entsteht ein weicheres Destillat.
In der Ausstellung gibt es natürlich auch historische Flaschen und vieles mehr. Blickfang ist ein alter Lieferwagen. Es gab eine kurze Zeit, da hat man hier (naheliegend) auch Bier hergestellt und dieses wurde dann hiermit ausgeliefert. Das war aber nur eine kurze Phase - Tiny gefällt der schmucke Wagen.
Die Gruppengröße beträgt hier bis zu 28 Personen je Guide, um 09:15 Uhr ist bereits eine entsprechend große Gruppe gestartet. Als wir um Punkt 09:30 Uhr von Matt, unserem jungen Guide, der sich bereits seit seiner Kindheit hier in der Distillery herumtreibt aufgerufen werden trauen wir unseren Augen nicht. Wir kommen in den Nebenraum, wo die kurze Einführung stattfindet und sind nur zu viert! Ein Paar aus Texas, wir beide (mit Tiny) - und Matt. Unfassbar, das ist so ein Glücksfall. Wir haben quasi eine Privatführung und Matt sagt, dass er selbst erstaunt ist, weil es das so gut wie nie gibt. Klasse, es kann losgehen!
Toll an der kleinen Gruppe ist auch, dass ich ganz entspannt Fotos machen kann, ohne das mir ständig Leute im Weg stehen. Leider ist in den Gebäuden, in denen mit dem Destillat umgegangen wird, das Nutzen aller elektronischen Geräte untersagt (Explosionsgefahr - „wir wollen ja nicht heute noch den lieben Jack besuchen“). Das erste kleine Wegstück bergauf werden wir mit dem Bus gefahren. Wir stellen uns gegenseitig vor, richtig gemütlich. Die Texaner haben noch einen Jack-Daniels-Cocktail mit Zitrus und Eis bestellt, großer Becher. Auf meine Antwort, dass ich noch fahren muss und wir uns das daher verkneifen lachen die Amis herzlich: „Wir sind Texaner!“ Und auch Matt bestätigt, dass hier so richtig niemanden interessiert, ob man fahren muss oder nicht (in Grenzen, denke ich - oder?). Matt erzählt, dass die Touren inkl. ausgiebigem Tasting bis vor einigen Jahren noch kostenlos waren. Inzwischen haben sie 300.000 Besucher jährlich und haben das System umgestellt.
Wir schauen uns zunächst die Besonderheit an: den Platz, wo die Holzkohle hergestellt wird, immer von den gleichen Leuten, die Matt schon sein Leben lang kennt. Sie lagern Sugar Maple (Zucker-Ahorn) für 9 bis 12 Monate auf dem Gelände der Distillery und „würzen“ das Holz so mit allem, was hier so an angenehmen Gerüchen herrscht. Dann schichten sie es auf und zünden es mit einem historisch anmutenden Flammenwerfer an Wenn das Holz gut verbrannt ist und der Kohle-Status erreicht ist löschen sie das Feuer mit Wasser, schichten um, löschen wieder usw. Dann wird die Kohle geschreddert, so dass ein Granulat entsteht und in einem Hochbehälter gelagert bis sie benötigt wird.
Als nächstes zeigt uns Matts die Wasserquelle, die hier durch eine Art Höhle fließt. Das Wasser ist regelmäßig glasklar und heute wegen des Regens gestern etwas eingetrübt. Es enthält besonders wenig Eisen und ist daher super geeignet. Hier hat Jack Daniel begonnen und hier steht auch seine Statue. Markenzeichen von Jack war es, dass er stets piekfein gekleidet daher kam. Niemals hat er sich anders fotografieren lassen - das war sein Steckenpferd: Anzug, Fliege und Hut mussten sein. Die Distillery ist mehrfach (drei mal?) abgebrannt (heute ist die Werksfeuerwehr besser besetzt als jede Flughafenfeuerwehr im Umfeld), alle Steinhäuser mussten mehrfach neu aufgebaut werden. Überlebt hat stets nur das kleine, aus Holz gebaute Office von Jack hier an der Quelle - und dorthin begeben wir uns jetzt und Matt führt die Geschichte rund um den kleinen Jack zu einem traurigen Ende..
Jack Daniel war und ist ein Familienunternehmen. Es gibt in diesem nur 300 Seelen umfassenden Örtchen quasi niemanden, der nicht irgendwie mit der Distillery verbunden ist. Jack Daniel wurde 1850 als das zehnte von zehn Kindern geboren und hatte von Beginn an keinen leichten Stand in der Familie. Mit 5 Jahren wurde er an einen Reverent „zur Pflege“ abgegeben und schon mit 13 Jahren begann er, seinen ersten Moonshine zu produzieren. Mit 16 Jahren kaufte er einen Teil dieses Geländes und zwar den Teil, auf dem sich die Quelle befindet. Dort installierte er seine Spirit-Still im Fels direkt über dem Wasser. Die Stelle kann man auch heute noch gut erkennen.
Der Hauptraum ist unverändert: originaler Schreibtisch, Uhr, Ofen, Tresor. Morgens kam Jack hier herein, setze sich an den Schreibtisch und arbeitete. Zwischendurch musste er natürlich auch mal an den Tresor. Eines Tages bekam er das störrische Ding nicht auf und trat voller Wut dagegen - und brach sich den großen Zeh. Leider hat er sich nicht behandeln lassen. Nach 9 Monaten musste ihm der Zeh amputiert werden, ein weiteres halbes Jahr der Unterschenkel. Er starb dann einige Monate später im Jahr 1911 an den Folgen der Blutvergiftung; der Brandherd hatte sich bis zur Hüfte weiter entwickelt. Brrrr.
Es hängen dort auch Fotos von den Master-Distillern. Der heutige ist 41 Jahre alt und macht den Job schon seit 26 Jahren; er ist der Enkel des vorletzten Chefs. Ihm steht eine junge Frau zur Seite, die seine Aufgabe sicher irgendwann einmal übernehmen wird. Mit 100 Millionen Litern/Jahr ist Jack Daniels heute eine der meistgetrunkenen Spirituosen weltweit.
Nun schauen wir uns die Stills an. Sie verwenden keine bauchigen Pottstills wie die meisten schottischen Distillerys sondern ausschließlich zylinderförmige Columnstills, die 52 Stunden laufen, dann gereinigt und wieder in Betrieb genommen werden. Die Fermentierung findet nebenan statt, es riecht sehr gut. Als Grundlage nehmen sie fast bei allen Abfüllungen Mais, Gerste und Roggen nach dem „Geheimrezept“ von Jack. Die nach der „Bierherstellung“ verbleibenden Feststoffe werden vollständig als Tierfutter an die Höfe in der Umgebung gegeben, glückliche Kühe, Pferde und Schweine!
Dann kommen wir in den Bereich, wo das junge Destillat durch die Holzkohle geträufelt wird, „dropje for dropje“. Über 3 Meter Holzkohle müssen die Tropfen durchlaufen, bevor sie später ins Fass gelangen. Die Holzkohle wird alle 9-12 Monate gewechselt und es dauert dann immer eine ganze Woche, bis der neue „Stoff“ durchgelaufen ist. Dieser wird dann sicherheitshalber noch einmal gefiltert und weiter geht die Reise.
Der Tastingraum ist in ein Fasslager integriert, sehr urig. Wir sitzen in dem gläsernen Raum umgeben von Fässern und haben jeder 6 Pinnekes vor uns stehen. Matt gibt die Erläuterungen, wir probieren: „Gentleman Jack“, der komplett zwei mal gefiltert wird, um ihn noch weicher zu machen. Dann gibt es den klassischen „Jack Daniel’s old No. 7“ (Fasslagerung ist hier mindestens 4 Jahre). Es folgt der „Jack Daniel’s Rye“, der komplett aus Roggen hergestellt wird und einen ganz anderen Geschmack hat. Dann folgen noch „Jack Daniel’s Tennessee Honey“, „Jack Daniel’s Tennessee Fire“ (mit Zimt) und „Jack Daniel’s Tennessee Apple“. Für letztere hat Matt unzählige Verwendungsmöglichkeiten: auf Eis, vermischt mit Tee, Kaffee, Limonade, gefroren oder zu Speiseeis gegeben etc. Wir sollten zu Hause mal mehr ausprobieren!
So viel dazu, alles andere sprengt den Rahmen. Tolle Tour!!
Auf dem Weg nach Nashville stoppen wir bei bestem Wetter noch kurz bei einem Walmart. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Mengen manche Familien hier einkaufen. 2 große Einkaufswagen voll mit Unmengen an Fleisch etc. lassen uns vermuten, dass hier immer für mehrere Wochen eingekauft wird.
In Nashville fahren wir zum Hotel, das in „East-Nashville“ liegt. Diejenigen in Downtown waren einfach viel zu teuer. Unser Hotel bietet einen stündlichen Shuttle nach Downtown an. Der kosten 15 Dollar pro Person hin und zurück. Das ist ein super Preis für die halbstündige Fahrt und wir sind heilfroh, dass wir unser Auto hier stehen lassen können. In Nashville ist nämlich die Hölle los. Ausnahmezustand! Hier ist am Broadway ja immer die bekannte Partymeile mit unzähligen Kneipen, alle mit Live Music, zum Teil auf 3 Etagen. So was haben wir noch nie gesehen. Hinzu kommt: es ist Springbreak (die Jugendlichen sind außer Rand und Band), es ist ein großes Basketball-Turnier mitten in der Stadt (Bridgestone Arena) - jede Menge Sportfans feiern. Es ist Samstag und es ist St. Patrick’s Day - grün, wohin das Auge schaut. Menschenmengen und ein infernalischer Lärm der sich vermischenden (sehr guten) Live-Acts.
Wir retten uns erst mal in den ersten Apple Store unserer Reise und Gabi bekommt die dringend benötigte neue Hülle für ihr iPhone. Dann stürzen wir uns ins Getümmel. Das ehrwürdige Ryman Auditorium ist groß und hat eine schöne Backsteinfassade. Fotografieren ist sehr schwierig wegen der ganzen Leute. Das „at & t“-Building heißt umgangssprachlich auch „Batman“. Überall fahren Partybusse oder -gefährte rum, ebenfalls mit eigener Musik und Gekreische. Viele Junggesellinnenabschiede, die meisten Mädels tragen bauchfrei, Cowboystiefel (gerne weiße) und knappe Röcke, wobei der Körperumfang völlig nebensächlich ist.
Wir schauen, dass wir ins Johnny Cash Museum kommen. Das liegt in einer Seitenstraße und hier haben wir Zeit. Der „Man in Black“ nimmt uns lange gefangen. Wir schauen uns alles in Ruhe an, Instrumente, Klamotten - auch von seiner zweiten Frau June Carter Cash. An vielen Audio- und Videostationen sehen und hören wir uns Beispiele seines Lebenswerkes an. Ich muss hier abkürzen - er war ein ganz großer mit einer sehr langen, erfolgreichen Karriere. Aber er hat in seinem Leben auch viel „Rock ‚n‘ Roll“-Erfahrung sammeln müssen inkl. Abhängigkeiten und miesen Phasen und Erfahrungen. Der grandiose Film „I walk the Line“ mit Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon (die alle Titel selbst singen) sei hier wärmstens empfohlen!
Nun gehen wir noch zur Country Music Hall of Fame und checken, was morgen geht. Alles gut, ich kann am Besten übers Internet Karten kaufen, was ich dann auch abends noch mache.
Nun haben wir Hunger, aber überhaupt keine Lust, uns hier in diese übervollen Kneipen am Broadway zu stürzen, wo man selbst ein Bier nur in Zeichensprache bestellen kann. Infernalischer Lärm. Zu unserem Entzücken finden wir das „Cerveza Jack’s“, eine mexikanisch angehauchte Bar in der 2nd Street. Eine junge Frau (in hohen Cowboystiefeln) singt zur Gitarre - sehr, sehr gut!
Bier gibt es nur aus der Dose - dafür heißt meines „Hippies and Cowboys IPA“ und schmeckt. Wir lassen Margaritas folgen und essen tolle Nachos mit chipottle chicken und Steak-Quessiladas. Genau der richtige Ort für uns.
Der Rücktransport zum Hotel läuft reibungslos, allerdings beobachten wir einen Unfall. Zwei junge Pärchen sind sehr fix mit dem Elektrotretroller unterwegs und kreuzen unsere dreispurige Fahrbahn, ohne Vorfahrt zu haben. Ein Auto neben uns erwischt die hinteren in voller Fahrt am Hinterreifen, die beiden stürzen - scheint aber nochmal gut gegangen zu sein. Eine Sekunde früher und es hätte ziemlich sicher zwei Tote gegeben. Puh! Zufällig steht direkt neben uns ein Ambulanzwagen, der hält sofort und nimmt sich der Sache an.
Wir checken ein und gratulieren erst mal der lieben Margret zum 60sten. Dort ist die Party im vollen Gange und wir platzen per Skype hinein. Gabi hat um 18:59 Uhr gerade noch zwei gratis Whisky-Cocktails erobert, die es hier zur Happy Hour bis 19.00 Uhr gibt. So können wir sogar anstoßen. Anschließend beziehen wir unser geräumiges Zimmer mit zig Steckdosen und allem, was wir benötigen.
Da es noch so schön ist verziehen wir uns aber mit unseren Getränken und dem Mac noch nach draussen an den Pool. Das Tagebuch schaffe ich heute ohnehin nicht mehr und ich bin froh, dass die Fotos noch fertig werden. Das Wifi ist aktuell so schlecht, dass an die Website ohnehin nicht zu denken ist. Morgen starten wir mit dem Shuttle um 11:00 Uhr, da habe ich vorher noch Zeit für das Tagebuch. Passte - es ist jetzt fertig (10:25 des Folgetages).
Ein Jack (Daniel) am Vormittag, ein Johnny (Cash) am Nachmittag und ein Jack („Cerveza“) am Abend - das war ein super Tag mit tollen Eindrücken.
Tagesetappe: 119 Kilometer
Übernachtung: Club Hotel Nashville Inn & Suites, 2435 Atrium Way, Nashville, TN 37214