Tagebuch
Frühling in Chattanooga
21.03.24 02:18 Abgelegt in: Tennessee

Gabi im Chattanooga National Military Park, Chattanooga, Tennessee
Nach dem Frühstück brechen wir auf. Morgen fliegen wir ab Atlanta in die Heimat und es musste ein Zwischenstopp her, der einerseits nicht zu weit von Atlanta entfernt ist und andererseits auch noch eine Kleinigkeit zu bieten hat. So fiel die Wahl auf Chattanooga.
Gegründet wurde die Stadt am Tennessee River 1835 als Handelsposten von Cherokee Indianern. Nachdem die Indianer 1838 gezwungen worden waren, die Stadt zu verlassen (auf dem sog. „Trail of Tears“) wurde sie von weißen Siedlern „übernommen“ und erhielt ihren heutigen Namen. Mehrere Eisenbahnlinien und Straßen machten die Stadt schon 1860 zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt - was auch die Unionstruppen im Bürgerkrieg zu schätzen wussten. 1899 wurde hier die erste große Coca-Cola-Abfüllanlage errichtet.
Gegen 12:30 Uhr erreichen wir nach einer ruhigen, musikalischen Fahrt unser Hotel. Das Zimmer ist schon fertig, prima! Es ist eine Art Suite mit Küche und vor allem viel Platz. Letzteres war uns wichtig, weil hier unsere Koffer für die Rückreise gepackt werden müssen. Das ist immer ein ziemlicher Akt, weil über 3 Wochen „Leben aus Koffer und Auto“ zusammengepackt und in zwei Koffer verfrachtet werden müssen. Gabi hat da die Ruhe weg und den Dreht raus - wie bei so Vielem.
Um diese Dinge kümmern wir uns aber zunächst überhaupt nicht. Das Wetter ist super, schon heute morgen waren es 15 Grad mehr als gestern und jetzt haben wir 22 Grad im Schatten. Also ab ins Auto und auf neue Entdeckungstour - alles schaut so frühlingshaft aus hier. Der Bürgerkrieg hat vor allem am sog. „Lookout Mountain“ seine Spuren hinterlassen. Andererseits bietet der Berg aber auch fantastische Tiefblicke auf Stadt, Tennessee River und Umgebung.
Die Straße windet sich den Berg hinauf. Überall blühen Bäume in rosa und weiß und sattes grün empfängt uns ebenfalls. Einen ersten Stop legen wir bei der „Chattanooga Incline Railway“ ein. Die Standseilbahn wurde 1895 bereits in Betrieb genommen; das oberste Stück ist mit einer Steigung von 72,7 Prozent eines der steilsten Bahnsegmente der Welt. Wir gehen bis zum Aussichtspunkt des oberen Bahnhofes und sehen die Bahn kommen. Gewaltig, wie steil sie hier herauf klettert. Wir machen Fotos - Partnerlook in oranje!
Innen im Bahnhof gibt es einen kleinen Andenkenladen, der aber auch allerlei sonstiges Zeugs verkauft, unter anderem Bücher. Zwei haben mich gleich besonders angesprochen, die Titel muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Freie Übersetzung: „Zieh deinen Bauch ein und leg etwas Farbe auf - was Südstaatenmütter ihren Töchtern erzählen und was ihr alle auch wissen müsst“ und noch besser „Tot sein ist keine Entschuldigung - der offizielle Südstaaten-Frauen Ratgeber, die perfekte Beerdigung auszurichten“.
Es sind nur noch wenige hundert Meter bis zum Point Park, dem Chattanooga National Military Park. Den hatten wir gar nicht so richtig ausgearbeitet und auf der Rechnung - das hat sich aber super gelohnt. Hier auf der nördlichen Spitze des Lookout Mountain wurde 1863 die „Schlacht über den Wolken“ gefochten. Zu sehen sind alte Kanonen und Monumente. Der eigentliche Knüller aber ist die grandiose Aussicht über die Stadt. Wir finden gleich mehrere schöne Fotospots, u.a. auch den Blick auf den „Moccasin Bend“, wo der Tennessee River eine 180-Grad-Schleife bildet. Es wird sehr anschaulich dargestellt, wie die Truppen damals mit ihren Kanonen hier den Berg und die Stadt verteidigt haben. Heftig, sich das vorzustellen!
Jetzt fahren wir aber in die Stadt. Attraktive Gebiete sind der Chattanooga-Choo-Choo District um den alten Bahnhof, der als Park angelegte Tennessee Riverwalk (um das Aquarium und am Fluss) und die restaurierten Straßenzüge in der Innenstadt, wo es auch zahlreiche Restaurants und Kneipen gibt.
Dies alles schauen wir uns an, stellen den Wagen in einem Parkhaus am Bahnhof an und suchen zunächst den „Cho Cho“ auf. Bereits die Entwürfe des 1909 fertiggestellten Bahnhofgebäudes erhielten 1903 den 1. Preis der Paris Beaux Arts Competition. Der 1970 stillgelegte Bahnhof wurde 1974 zu einem attraktiven Freizeitareal umgestaltet. Das alte Bahnhofsgebäude dient nun als Foyer für die Unterkunft. Waggons, Bahnsteige und Nebengebäude bieten Restaurants, Cafes, Pubs und manchmal auch Livemusik. Einige der alten Schlafwagen auf den Gleisen sind zu Hotelsuiten umgestaltet worden. Der Chattanooga-Choo-Choo war der erste öffentliche Personenzug, der ab dem Jahr 1880 die Nord-Süd-Route fuhr. Natürlich hören wir bei der Anfahrt auf den letzten Metern Glen Millers gleichnamiges Meisterwerk.
Im Umfeld des Bahnhofs hat sich ein interessantes Stadtviertel entwickelt, geprägt durch eine Mischung aus Shoppingmalls, Restaurants, Cafes, kleinen Geschäften entlang der Market St. und alten, z.T. noch leeren Lagerhäusern.
Direkt gegenüber dem Bahnhof befindet sich die „Chattanooga Whiskey Experimental Distillery“. Sie ist ebenso wie die im Bahnhof gelegene „Gate Eleven Distillery“ Teil des Whiskey Trails. Also holen wir uns unsere Stempel ab. In der Experimental Distillery lassen wir uns sogar zu ein paar kostenlosen Samples verleiten. Sie geben sich echt Mühe, sind super freundlich und haben leckere Tropfen im Angebot.
Die Market Street führt bis zum Tennessee River und Tennessee Aquarium. Die gut 2 km, also 30 Minuten Fußweg haben wir schnell erledigt. Wir schauen uns „Downtown“ noch etwas um, spektakulär ist es hier aber nicht. An der Brücke zum Fluss steht eine Bronzestatue mit dem Titel „Frühling“ - na bitte, das passt doch zum Tagesmotto. Mit dem kostenlosen Trolley fahren wir zurück zum Parkhaus.
Nun haben wir Hunger und Durst. In den letzten 30 Minuten ist die Entscheidung gereift, nicht hier in der Stadt zu essen, sondern in der Nähe des Hotels etwas zu finden. Kurzer Google-Check: Jonathan’s Grille scheint geeignet. Das entpuppt sich als ziemlich große Sportsbar mit Außenbereichen. Wir bekommen einen Tisch vorne auf der Sonnenseite. Der Kellner fragt, ob wir zur Happy Hour 2 Getränke zum Preis von einem haben wollen? Warum nicht, Durst haben wir! 5 Minuten später stehen 2 große Cider und Biere vor uns. Da machen wir mal wieder Augen, dachten wir doch, wir bekämen das nacheinander. Immerhin wurden wir hier nicht nach den Ausweisen gefragt, wie sonst so oft. Gestern Abend in Gatlinburg hätte Gabi fast kein Cider bekommen, weil sie keinen Ausweis dabei hatte. Glücklicherweise hatte ich ihn auf dem iPhone griffbereit. Andere Länder …
Mein „Cowbow smashed Burger“ mit Onion Rings ist klasse, auch Gabis Nudeln mit Huhn sind super gewürzt. Es war nur mal wieder viel zu viel.
Zurück am Hotel setzen wir uns noch kurz in die untergehende Sonne - die Farbstimmung war schon beim Essen fantastisch und versüßt uns den letzten Urlaubsabend. Jetzt ist das Tagebuch fertig und ich mache langsam Feierabend. Gute Nacht - einmal melde ich mich noch, allerdings erst von zu Hause und das passiert irgendwann am Wochenende. Liebe Grüße aus den Südstaaten!!
Tagesetappe: 283 Kilometer
Übernachtung: TownePlace Suites by Marriott Chattanooga South, East Ridge, 6801 Ringgold Road, Chattanooga, 37412
Frische Bergluft
20.03.24 04:11 Abgelegt in: Tennessee | North Carolina

Jürgen an der Newfound Gap, Smoky Mountains NP, Tennessee/North Carolina
Das Frühstück hier in der Lodge ist sehr, sehr einfach amerikanisch, Bisquit, Gravy, Oatmeal, Eggs etc. Aber auch Bagels, Toast, Frischkäse usw. Ich lasse es mal etwas ruhiger angehen - mein Körper muss sich ab nächster Woche ohnehin sehr stark umstellen, sehr (!) stark. Wir wollen nicht zu spät los und sind vor 09:00 Uhr auf dem Weg in den Nationalpark.
Die Great Smoky Mountains, gerne auch nur „Great Smokies“ oder einfach „Smokies“ genannt, liegen im südlichen Zentralgebiet der Appalachen-Gebirgskette. Sie wurden bereits von 200 bis 300 Millionen Jahren geformt und gehören damit zu den ältesten Gebirgen der Welt. Die „rauchenden Berge“ waren bereits den ersten Siedlern bekannt, denn die durch die hohen Niederschläge verursachten Verdunstungsnebel erscheinen wie langsam aufsteigende Rauchschwaden. Reizvoll sind die großen, zusammenhängenden Waldgebiete, die sich wie ein riesiger Teppich über die geschmeidigen Berge legen.
Die Hauptstraße, die Newfound Gap Road fungiert als Verbindungsstraße zwischen den Touristenorten im westlichen North Carolina und Georgia sowie Tennessee. Das mag ein wesentlicher Grund sein für die jährlich 10 Millionen Gäste. Kein Nationalpark in den USA wird so stark besucht (auf Platz 2: Grand Canyon NP mit knapp 5 Mio. Besuchern). Meines Erachtens sind aber auch die auf amerikanischen Familientourismus zugeschnittenen, sehr bunten und mit allerlei Attraktionen „am laufenden Band“ ausgestatteten Ferienorte Pigeon Forge und Gatlinburg starke Magneten - diese Gäste werden dem Nationalpark sicher auch zugerechnet. Im Ernst: für uns erschließt sich die „Nr. 1-Beliebtheit“ nicht ohne weiteres. Klar: wunderschöne Natur mit riesigen Waldgebieten und sanfter Berglandschaft. Eigentliche Höhepunkte wie sie der Grand Canyon, Arches, Yosemite, Canyonlands, Yellowstone, Olympic NP oder andere, die wir kennen lernen durften, haben die „Smokies“ nicht. Da spielt vielleicht auch die Lage im Osten mit großem Einzugsgebiet und vielen Menschen hier eine wesentliche Rolle für die Besucherzahlen.
Bezaubernd ist die Strecke entlang der Little River Road und weiter westlich der Laurel Creek Road, die durch eine Schlucht zum Cades Cove führt, einem schönen Tal, in dem sich im 19. Jhd. die ersten Siedler niedergelassen haben. Hier rollen wir früh morgens mit 35 MPH entlang. Eine Stunde benötigt man, um zur eigentlichen „Loop“ der Cades Cove zu gelangen. Die Straße folgt zuerst dem reißenden Little River und mäandert dabei durch eine schöne Waldlandschaft. Im großen Tal, dem Cades Cove, teilt sie sich und eine Einbahnstraße führt durch das ehemals von Farmern bewohnte Gebiet. Die Landschaft ist einmalig und die Weidefläche bietet einen schönen Kontrast zu den dahinter aufsteigenden Smoky Mountains. An mehreren Punkten steigen wir aus und erkunden alte Siedlungen und eine Reihe von Holzkirchen samt Grabfeldern im Wald. Es ist sehr einsam hier.
Da ist sie, die frische Bergluft, nach der wir uns so gesehnt haben. Dazu strahlend blauer Himmel, fantastisches Wetter. Das Wort „frisch“ hat heute aber eine doppelte Bedeutung. Es ist nämlich rattenkalt. Als wir im Hotel starten, zeigt das Thermometer gerade mal Minus 4 Grad Celsius. So sind wir, vor allem in den ersten Stunden auch immer froh, wenn wir wieder im Auto sitzen.
Neben Holzhütten, die trotz der damals eingeschränkten Möglichkeiten sauber gebaut und stabil errichtet sind und Kirchen finden wir auch eine alte Mühle mitten im Wald. Hier gibt es einige Motive und wir gehen auch ein Stück am reißenden Fluss entlang. Gabi traut sich über einige wacklige Flusskiesel auf eine kleine Plattform an der Wasserstufe.
Die häufigsten Tiere hier sind Schwarzbären sowie Hirsche, Rehe, Biber, Otter, Opossums, Luchse und Füchse. Besonders Hirsche und Rehe lassen sich angeblich in den frühen Abendstunden beim Äsen auf den offenen Weiden im Cades Cove gut beobachten. Von den 23 hier vorkommenden Schlangenarten sind nur 2 giftig - und sehr scheu. Wir sehen keine einzige, obwohl an der „Old Mill“ eindringlich gewarnt wird, aufzupassen, weil die sich gerne im Umfeld der historischen Holzgebäude tummeln.
Leider sind bis auf ein paar Rehe in weiter Ferne und Truthähne am Wegesrand keine Tiere zu sehen. Ist wohl doch die falsche Tageszeit - die Abendstunden dürften besser geeignet sein. Nach gut 4 Stunden ist die gesamte Tour geschafft. Aber es geht noch weiter:
Die Route entlang der Newfound Gap Road führt auf den gleichnamigen Pass (1.539 m). Hier ist der aktuell höchste Punkt, den wir vor dem 01. April erreichen können. Teile des Parks sind noch gesperrt. Auf der Passhöhe ist es auch „frisch“. Die Staatengrenze von North Carolina und Tennessee verläuft hier, so dass wir noch einen weiteren US-Bundesstaat in unserer Sammlung begrüßen dürfen. Ebenso verläuft hier der legendäre sog. „Appalachian Trail“ (AT), auf dem wir mit Tiny nun zumindest mal gestanden haben. Er ist 2.150 Meilen lang und führt durch 14 US-Staaten. Da benötigt man etwas mehr Zeit und Ausdauer, als wir sie wohl je haben werden. Neben dem Pacific-Crest Trail (PCT), der von Mexiko bis Kanada entlang der Westküstengebirge verläuft ist das einer „der“ angesagtesten Wanderwege für Aussteiger/innen. Filmempfehlungen? „Der große Tripp - Wild“ mit Jodie Foster (PCT) und „Picknick mit Bären“ mit Robert Redford (AT).
In den vergangenen Stunden ist ein Plan gereift: die Runde durch die „Cades Cove“ hat uns so gut gefallen, dass es uns reizt, die auch in den Abendstunden zu erleben. Und so schnell kommen wir nicht wieder hin. Also: zurück zum Hotel, einen Teil der Fotoarbeiten erledigen, 45 Minuten Power-Nap und wieder los.
Ja, wir machen die ganze Runde noch einmal, schweben mit schöner Musik durch diese wunderbare Landschaft und genießen. Wir benötigen nun aber „nur“ 3 Stunden, da wir nicht so viel rumlaufen. Das Licht ist ganz anders und wechselt gegen 19:00 Uhr zu rosa-lila. Etwas können wir auch das Ambiente der „rauchenden Berge“ erleben, es wir etwas dunstig am Horizont.
Jetzt haben wir Haber Hunger und Durst. Nicht weit vom Hotel entfernt liegt das „Ole Red“. Hinein und an die Theke. Ich teile der Kellnerin meine Freude darüber mit, dass es sogar Live Musik gibt. Ein junger Mann spielt auf der großen Bühne Gitarre und singt dazu. „Haben wir jeden Tag - drei mal!“ lächelt sie zurück. Ok!
Großer Durst, große Gläser. Cider und „Red Amber Beer“ - 600 ml fasst jedes Glas und wir dürfen die sogar mit nach Hause nehmen. Wir trinken zwei und essen Wings und Nachos - gigantische Portionen, die Nachos sind nicht zu schaffe.
Ich unterhalte mich sehr angeregt mit einem Rentnerpaar neben uns. Dabei gerate ich auf sehr dünnes Eis und breche das ein oder andere Mal bestimmt ein. Wir kommen auf die Weltpolitik und ich gebe bekannt, dass ich höflicherweise politische Themen an der Theke gerne vermeide. Es lässt sich aber nicht vermeiden denn er fragt, wie es in Deutschland sei? Ob sich die Welt und die Menschen dort auch verändert hätten? Und ob dort auch viele „rückwärts gewandt“ seien. Muss ich bestätigen, gebe aber gleich zu bedenken, dass die Strömungen, die Deutschland isolieren wollen und national unterwegs sind, nicht meine Zustimmung erfahren. „Die Welt braucht Frieden, Zusammenhalt, Unterstützung und nicht Ausgrenzung, Egoismus und das Wiederaufleben alter Unsitten“. Die beiden kommen aus Michigan. Seine Frau nickt viel, wenn ich spreche. Sie ist in Deutschland geboren, dann aber bereits im Alter von einem Jahr mit ihren Eltern nach Hawaii gekommen. Außerdem scheint sie indianischen Ursprungs zu sein. Also werfe ich auch gleich die Themen „Rassentrennung“, „Diskriminierung“, „Pride“ und mein Unverständnis, dass man in Deutschland im Kindergarten nicht mehr von „Indianern“, sondern von „Indigenen“ sprechen soll etc. mit auf. Ein bunter Blumenstrauß mit Fettnäpfchen am Wegesrand. Ich habe mich aber gut geschlagen, glaube ich. Meine Meinung kennt er jetzt jedenfalls - mit seiner rückte er nicht so richtig raus, da versuchte er diplomatisch zu sein …
Jetzt ist fertig und Feierabend. Gute Nacht - morgen lockt der Sonderzug nach Pankow, es geht nach Chattanooga …
Tagesetappe: 251 Kilometer
Übernachtung: Greystone Lodge on the River, Gatlinburg, 559 Parkway, Gatlinburg, TN 37738-3201
Fields of Glory ...
12.03.24 01:24 Abgelegt in: Mississippi

Jürgen am "Battlefield", Vicksburg National Military Park, Mississippi
Das Frühstück im „The Guest House Historic Mansion“ wird nicht als Buffet gereicht sondern kommt passend zur Ausstattung klassisch daher. Bedienung an den Tisch, Menüauswahl, echte Kaffeebecher, Gläser, Porzellan, Stoffservietten. Wir genehmigen uns diesmal beide die herzhafte Variante: 2 Rühreier, Käse, Bacon, Hashbrowns, Kaffee, O-Saft. Damit kommen wir bis in den Abend.
Schnell sind wir wieder auf den Blues-Highway #61, über den die heutige Strecke komplett führt. Der Streckenabschnitt ist sehr reizvoll; die Gegend wird deutlich hügeliger - in Wellen geht es den Highway hinauf und hinab.
Port Gibson ist eine kleine, liebliche Stadt, die dank der Gutmütigkeit von General Grant („So etwas Schönes darf man nicht niederbrennen“) den Bürgerkrieg unbeschadet überstanden hat. Am Wegesrand liegen wieder viele schön zurechtgemachte Häuser und Baumriesen. Auffällig sind aber auch hier wieder die zahlreichen Kirchen.
Mitten in Port Gibson biegen wir links ab, denn der erste Abstecher steht an. Der Weg allein lohnt - er führt über einen sehr reizvollen und einsamen Straßenabschnitt, gesäumt von Baumwollfeldern (die aber noch nicht bestellt sind und daher nur braunes Gestrüpp aufweisen) und auf den letzten Meilen wucherndem Kudzu-Efeu. Der ist aktuell auch grau. Wenn wir uns vorstellen, wie der in einigen Wochen saftig grün daherkommt - das ist bestimmt ein prächtiges Bild.
Der „Grand Gulf Military State Park“ erinnert an die Zeiten großer Schlachten während des Bürgerkrieges. Wir sind komplett alleine hier, die Rangerin erzählt uns etwas. Außerdem gibt es historische Artefakte in dem Museumsgebäude. Gruselig, sich vorzustellen, dass mit diesen Bajonetten und Säbeln hier höchstwahrscheinlich vor 150 Jahren Menschen getötet wurden. Gleiches gilt für die Schießeisen.
Draußen erkunden wir dann das Gelände. Eine kleine Kirche hat sogar eine historische Orgel, die aber funktionsuntüchtig sein dürfte - so wie die Tastatur beschaffen ist. Vor dem Stallschuppen gegenüber steht ein historisches Feuerwehrfahrzeug, drinnen Kutschen, Leichenwagen und ein historischer RTW, Aufschrift: „Original civil war ambulance Wagon - only one to have seen service in the war 1862“. Wieder ein Stück weiter: der Jail mit original Eisenkäfig im Gebäude. Hier möchte ich auch nicht eingesperrt sein. Mit dem Auto fahren wir die weiteren Punkte an: alter Friedhof und Aussichtsturm, der luftig daherkommt, ein wenig Frühsport abverlangt, aber nicht viel Aussicht zu bieten hat.
Das ehemalige Hafenstädtchen Grand Gulf direkt nebenan hat im Verlauf der Geschichte alle denkbaren Katastrophen ereilt: Überschwemmungen, Versandung des Mississippi, Epidemien (Gelbfieber und Cholera), Feuersbrünste, Verwüstung durch Tornados und die vollständige Zerstörung während des Bürgerkrieges, als die Unionstruppen hier über den Mississippi setzen um dann nach einer schweren Schlacht um Port Gibson weiter nach Jackson und schließlich gen Vicksburg marschieren zu können. Zugewachsene Schützengräber und zahlreiche Schilder erinnern im Wald an die Ereignisse von damals. Gespenstisch!
Wir fahren den Weg zurück nach Fort Gibson, um dann noch einmal abzubiegen. Der Weg ist super kurvig und hügelig, eine Achterbahnfahrt durch zugegeben sehr schönen Wald. 10 Meilen westlich der Stadt finden wir dann die „Windsor Ruins“. 23 korinthische Säulen sind alles, was von dem ehemals größten Plantagenhaus des Südens übrig geblieben ist. Das erst 1860 erbaute Haus fiel bereits 1890 den Flammen zum Opfer. Aktuell wird das baufällige Areal restauriert und ist komplett gesperrt. Wir haben Glück, denn gerade wird der Rasen gemäht. Man ist so nett und lässt und ein paar Fotos schießen, in das Gelände rein dürfen wir nicht - zu gefährlich. Auch hier mach dieser graue Kudzu-Efeu die Landschaft unwirklich.
Wieder zurück auf dem Highway #61 geht es weiter gen Norden. Kurz vor Vicksburg müssen wir mal wieder tanken - immer noch sehr günstig (2,889 $/GAL).
Nun steuern wir das Vicksburg National Military Park/Battlefield Museum an, in dem wir über 2 Stunden verbringen werden. Es ist unserer erster National Park auf dieser Reise. Der Jahrespass lohnt sich auch nach Ansicht des Rangers hier im Südosten nicht.
Auch in Vicksburg florierte zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Baumwollhandel; die günstige Lage an einer Biegung des Mississippi war sehr vorteilhaft für die Stadt.
Am Eingang des NP befindet sich das Visitor Center mit dem Museum des Parks. Ich bespreche mich mit dem Ranger, er weist auf einige Besonderheiten hin (Straßensperrungen, wie wir fahren sollten etc.) und ich erkläre ihm kurz, was ich über die Bedeutung der Schlacht bei Vicksburg zu wissen meine. Er bestätigt, dass ich richtig informiert bin - auch daran ist „Fackeln im Sturm“ nicht ganz unschuldig. Ein 18-minütiger Film und eine gelungene Ausstellung mit originalen Ausgrabungs- und Schaustücken aus Kriegszeiten erläutern uns in Kürze die Geschichte des Krieges und den Schlachtverlauf bei Vicksburg, wo sich damals 110.000 Soldaten gegenüberstanden, davon 80.000 auf Seiten der Nordstaaten.
Vor uns liegt jetzt eine ca. 15 Meilen (knapp 25 km!) lange Rundstrecke über das riesige Gelände (quasi das „Schlachtfeld“) mit zahlreichen Stops, unzähligen Gedenktafeln, Denkmälern, Heldenstatuen, Gebäuden, Kanonen etc. Zuerst fahren wir an den Stellungen der Unionstruppen vorbei. Immer wenn die Plätze diese Partei betreffen, sind die Schilder blau. Es ist beklemmend, sich vorzustellen, welches Leid diese Landschaft gesehen haben muss. Dabei ist sie so schön: hügelig, saftiges Gras, schöne Bäume. Ich sehe aber vor meinem geistigen Auge die Unionstruppen immer wieder gegen die Stellungen der Konföderierten anrennen, Menschen schreien und verwundet oder tödlich getroffen zu Boden fallen. Der Film von eben wirkt noch nach.
Das „Illinois Memorial“ hat eine große Treppe zu einer riesigen weißen Kuppel zu bieten. Innen wird an Generäle und Anführer aus Illinois erinnert, alles sehr schlicht und mit sagenhafter Akustik. Wir sind auch hier allein, es ist gerade mal keine Busladung angekommen. Gabi singt und es klingt extrem voluminös zurück. Hier verbringen wir etwas Zeit.
Auf dem Vicksburg National Cemetery, dem größten Bürgerkriegsfriedhof, sind 17.000 Menschen begraben, davon 13.000 unbekannt. Grabsteine bis zum Horizont. „Die meisten waren bestimmt Jüngskes!“ meint Gabi. Es waren aber damals alle Altersgruppen aufgerufen und dabei. Wie viel Leid hat dieser Krieg über die Familien gebracht? Totaler Wahnsinn!! „Totaler Wahnsinn“ war meine Idee für den Titel dieses Tagebucheintrages - passt meines Erachtens zu jeder Art von Krieg. Als wir so durch den Park fahren singt dann die unvergleichliche Eva Cassidy „Fields of Gold“ von Sting. Wer die Aufnahme nicht kennt (besonders die Akustikfassung!), sollte sie unbedingt mal anhören. So schön, so traurig. Und sie singt auch von den „Fields of Glory“ - das passt perfekt zu diesem Tag und den Schlachtfeldern, die wir heute gesehen haben.
Neben dem Friedhof liegt das USS Cairo Museum, wo ein wieder ausgegrabenes Kanonenboot aus dem Bürgerkrieg zu besichtigen ist. Das mit Wasserdampf und Schaufelrad angetriebene Boot ist zu allen Seiten mit Kanonen bestückt und zum Teil mit dicken Eisenplatten vor feindlichem Beschuss geschützt. Zum Schluss geht es noch an den Stellungen der Konföderierten entlang (rote Schilder).
Das Schicksal hier in Vicksburg wurde insbesondere durch den Bürgerkrieg bestimmt. 1863 belagerten die Truppen der Nordstaaten unter General Grant die Stadt 7 Wochen lang, bevor sie sich am 04.07.1863 ergab. Am Ende aßen die armen Menschen hier Ratten und Katzen, weil es nichts anderes mehr gab. Mit dem Fall von Vicksburg und der gleichzeitigen Niederlage bei Gettysburg am 03.07.1863 war der Krieg entschieden. Im Osten wurde die größte Südstaatenarmee zerschlagen und bei Vicksburg der wichtigste Nachschubweg abgeschnitten. Der Mississippi war nämlich die Lebensader der Konföderierten Armee. Nur so konnten sie mit wichtigem Nachschub aus nördlichen Staaten versorgt werden, die sich nur halbherzig der Unionsregierung unterordnen wollten. Mehr kann ich hier nicht beschreiben - die Informationen im Detail gehen zu weit.
Nur soviel noch an persönlicher Bemerkung: es waren 1860 die üblichen Zutaten für einen Krieg: „Rot“ (Unionstruppen der Vereinigten Staaten unter Präsident Abraham Lincoln) kämpft gegen „Blau“ (Konföderierte Südstaaten). Rot gegen Blau habe ich 1982 auch bei der Bundeswehr gespielt - genau so gruselig. Da stellte die NATO die „blauen“ - die „roten“ waren die Russen. 1860 fühlte sich „blau“ unfrei, gegängelt von der Union und wollte seinen Wohlstand (insbesondere das Recht auf Sklavenhaltung als Grundlage für diesen Wohlstand) behalten. Rot wollte die „Union“ retten und die Sklaven befreien. Noch ein paar kampfeswillige „Politiker“ dazu, Stimmung in der Bevölkerung aufheizen, kräftig umrühren und schon bringen sich Brüder, Nachbarn, Freunde gegenseitig um. Wer hat Recht? Wie immer im Krieg: niemand. 1863 hat „rot“ gewonnen. Frei waren die Sklaven zwar fortan formal - in den Köpfen ist die Rassentrennung aber vielfach auch heute nicht überwunden. Und auch heute noch bekriegen sich auf der Welt Menschen auf bestialische Weise - und wissen wahrscheinlich vielfach garnicht, warum eigentlich. „Totaler Wahnsinn!“
Wir steuern nun unser Hotel an. Gestern hatte ich noch geschrieben, das es wieder „normal“ wird. Da hatte ich ganz vergessen, dass wir uns für heute in Vicksburg in einem Casinohotel direkt am Mississippi eingebucht haben. Einigermaßen günstig, super Zimmer.
Wir fahren aber gleich nochmal los, weil wir noch Downtown sehen und etwas essen wollen. Dabei finde ich eine abenteuerliche Route, die z.T. über Schotterstraße, an zig „Lost Places“, stillgelegten Eisenbahnwagons vorbei und über ein Betriebsgelände führte - wir sind aber durch- und angekommen.
Downtown erinnert etwas an San Francisco - wegen der extrem steilen Fahrbahnen. Sonst nicht! Hier ist auch der Hund begraben. Nach 10 Minuten haben wir alles gesehen und steuern die Brewery an, die ich eben ausgemacht habe. Cocktail für Gabi, leichtes Bier für mich, Pizza für uns beide. Lecker, günstig, schöne Kneipe!
Zurück im Motel schauen wir noch kurz in das riesige Casino hinein. Unfassbar, diese Menge an Glücksspielgeräten. Roulette etc. geht aber natürlich auch. Wir machen ein Foto und sind nach weniger als 10 Minuten wieder raus. Das ist nicht unsere Welt, ich kann hiermit überhaupt nix anfangen und Gabi auch nicht. Sehr gut so. Denn auch diese Casinos versprechen vielen das „Field of Glory“ - und sind dann am Ende deren Untergang.
Gute Nacht, das war ein Tag mit einem ernsten Thema, welches aber unbedingt zu einer Reise durch die Südstaaten dazu gehört. Morgen wird der Blues-Highway seinem Namen alle Ehre und uns viel Freude machen (hoffe ich sehr)!
Tagesetappe: 228 Kilometer
Übernachtung: WaterView Casino & Hotel by Wyndham, 3990 Washington St., Vicksburg, MS 39180