Tagebuch
North Carolina
Frische Bergluft
20.03.24 04:11

Jürgen an der Newfound Gap, Smoky Mountains NP, Tennessee/North Carolina
Das Frühstück hier in der Lodge ist sehr, sehr einfach amerikanisch, Bisquit, Gravy, Oatmeal, Eggs etc. Aber auch Bagels, Toast, Frischkäse usw. Ich lasse es mal etwas ruhiger angehen - mein Körper muss sich ab nächster Woche ohnehin sehr stark umstellen, sehr (!) stark. Wir wollen nicht zu spät los und sind vor 09:00 Uhr auf dem Weg in den Nationalpark.
Die Great Smoky Mountains, gerne auch nur „Great Smokies“ oder einfach „Smokies“ genannt, liegen im südlichen Zentralgebiet der Appalachen-Gebirgskette. Sie wurden bereits von 200 bis 300 Millionen Jahren geformt und gehören damit zu den ältesten Gebirgen der Welt. Die „rauchenden Berge“ waren bereits den ersten Siedlern bekannt, denn die durch die hohen Niederschläge verursachten Verdunstungsnebel erscheinen wie langsam aufsteigende Rauchschwaden. Reizvoll sind die großen, zusammenhängenden Waldgebiete, die sich wie ein riesiger Teppich über die geschmeidigen Berge legen.
Die Hauptstraße, die Newfound Gap Road fungiert als Verbindungsstraße zwischen den Touristenorten im westlichen North Carolina und Georgia sowie Tennessee. Das mag ein wesentlicher Grund sein für die jährlich 10 Millionen Gäste. Kein Nationalpark in den USA wird so stark besucht (auf Platz 2: Grand Canyon NP mit knapp 5 Mio. Besuchern). Meines Erachtens sind aber auch die auf amerikanischen Familientourismus zugeschnittenen, sehr bunten und mit allerlei Attraktionen „am laufenden Band“ ausgestatteten Ferienorte Pigeon Forge und Gatlinburg starke Magneten - diese Gäste werden dem Nationalpark sicher auch zugerechnet. Im Ernst: für uns erschließt sich die „Nr. 1-Beliebtheit“ nicht ohne weiteres. Klar: wunderschöne Natur mit riesigen Waldgebieten und sanfter Berglandschaft. Eigentliche Höhepunkte wie sie der Grand Canyon, Arches, Yosemite, Canyonlands, Yellowstone, Olympic NP oder andere, die wir kennen lernen durften, haben die „Smokies“ nicht. Da spielt vielleicht auch die Lage im Osten mit großem Einzugsgebiet und vielen Menschen hier eine wesentliche Rolle für die Besucherzahlen.
Bezaubernd ist die Strecke entlang der Little River Road und weiter westlich der Laurel Creek Road, die durch eine Schlucht zum Cades Cove führt, einem schönen Tal, in dem sich im 19. Jhd. die ersten Siedler niedergelassen haben. Hier rollen wir früh morgens mit 35 MPH entlang. Eine Stunde benötigt man, um zur eigentlichen „Loop“ der Cades Cove zu gelangen. Die Straße folgt zuerst dem reißenden Little River und mäandert dabei durch eine schöne Waldlandschaft. Im großen Tal, dem Cades Cove, teilt sie sich und eine Einbahnstraße führt durch das ehemals von Farmern bewohnte Gebiet. Die Landschaft ist einmalig und die Weidefläche bietet einen schönen Kontrast zu den dahinter aufsteigenden Smoky Mountains. An mehreren Punkten steigen wir aus und erkunden alte Siedlungen und eine Reihe von Holzkirchen samt Grabfeldern im Wald. Es ist sehr einsam hier.
Da ist sie, die frische Bergluft, nach der wir uns so gesehnt haben. Dazu strahlend blauer Himmel, fantastisches Wetter. Das Wort „frisch“ hat heute aber eine doppelte Bedeutung. Es ist nämlich rattenkalt. Als wir im Hotel starten, zeigt das Thermometer gerade mal Minus 4 Grad Celsius. So sind wir, vor allem in den ersten Stunden auch immer froh, wenn wir wieder im Auto sitzen.
Neben Holzhütten, die trotz der damals eingeschränkten Möglichkeiten sauber gebaut und stabil errichtet sind und Kirchen finden wir auch eine alte Mühle mitten im Wald. Hier gibt es einige Motive und wir gehen auch ein Stück am reißenden Fluss entlang. Gabi traut sich über einige wacklige Flusskiesel auf eine kleine Plattform an der Wasserstufe.
Die häufigsten Tiere hier sind Schwarzbären sowie Hirsche, Rehe, Biber, Otter, Opossums, Luchse und Füchse. Besonders Hirsche und Rehe lassen sich angeblich in den frühen Abendstunden beim Äsen auf den offenen Weiden im Cades Cove gut beobachten. Von den 23 hier vorkommenden Schlangenarten sind nur 2 giftig - und sehr scheu. Wir sehen keine einzige, obwohl an der „Old Mill“ eindringlich gewarnt wird, aufzupassen, weil die sich gerne im Umfeld der historischen Holzgebäude tummeln.
Leider sind bis auf ein paar Rehe in weiter Ferne und Truthähne am Wegesrand keine Tiere zu sehen. Ist wohl doch die falsche Tageszeit - die Abendstunden dürften besser geeignet sein. Nach gut 4 Stunden ist die gesamte Tour geschafft. Aber es geht noch weiter:
Die Route entlang der Newfound Gap Road führt auf den gleichnamigen Pass (1.539 m). Hier ist der aktuell höchste Punkt, den wir vor dem 01. April erreichen können. Teile des Parks sind noch gesperrt. Auf der Passhöhe ist es auch „frisch“. Die Staatengrenze von North Carolina und Tennessee verläuft hier, so dass wir noch einen weiteren US-Bundesstaat in unserer Sammlung begrüßen dürfen. Ebenso verläuft hier der legendäre sog. „Appalachian Trail“ (AT), auf dem wir mit Tiny nun zumindest mal gestanden haben. Er ist 2.150 Meilen lang und führt durch 14 US-Staaten. Da benötigt man etwas mehr Zeit und Ausdauer, als wir sie wohl je haben werden. Neben dem Pacific-Crest Trail (PCT), der von Mexiko bis Kanada entlang der Westküstengebirge verläuft ist das einer „der“ angesagtesten Wanderwege für Aussteiger/innen. Filmempfehlungen? „Der große Tripp - Wild“ mit Jodie Foster (PCT) und „Picknick mit Bären“ mit Robert Redford (AT).
In den vergangenen Stunden ist ein Plan gereift: die Runde durch die „Cades Cove“ hat uns so gut gefallen, dass es uns reizt, die auch in den Abendstunden zu erleben. Und so schnell kommen wir nicht wieder hin. Also: zurück zum Hotel, einen Teil der Fotoarbeiten erledigen, 45 Minuten Power-Nap und wieder los.
Ja, wir machen die ganze Runde noch einmal, schweben mit schöner Musik durch diese wunderbare Landschaft und genießen. Wir benötigen nun aber „nur“ 3 Stunden, da wir nicht so viel rumlaufen. Das Licht ist ganz anders und wechselt gegen 19:00 Uhr zu rosa-lila. Etwas können wir auch das Ambiente der „rauchenden Berge“ erleben, es wir etwas dunstig am Horizont.
Jetzt haben wir Haber Hunger und Durst. Nicht weit vom Hotel entfernt liegt das „Ole Red“. Hinein und an die Theke. Ich teile der Kellnerin meine Freude darüber mit, dass es sogar Live Musik gibt. Ein junger Mann spielt auf der großen Bühne Gitarre und singt dazu. „Haben wir jeden Tag - drei mal!“ lächelt sie zurück. Ok!
Großer Durst, große Gläser. Cider und „Red Amber Beer“ - 600 ml fasst jedes Glas und wir dürfen die sogar mit nach Hause nehmen. Wir trinken zwei und essen Wings und Nachos - gigantische Portionen, die Nachos sind nicht zu schaffe.
Ich unterhalte mich sehr angeregt mit einem Rentnerpaar neben uns. Dabei gerate ich auf sehr dünnes Eis und breche das ein oder andere Mal bestimmt ein. Wir kommen auf die Weltpolitik und ich gebe bekannt, dass ich höflicherweise politische Themen an der Theke gerne vermeide. Es lässt sich aber nicht vermeiden denn er fragt, wie es in Deutschland sei? Ob sich die Welt und die Menschen dort auch verändert hätten? Und ob dort auch viele „rückwärts gewandt“ seien. Muss ich bestätigen, gebe aber gleich zu bedenken, dass die Strömungen, die Deutschland isolieren wollen und national unterwegs sind, nicht meine Zustimmung erfahren. „Die Welt braucht Frieden, Zusammenhalt, Unterstützung und nicht Ausgrenzung, Egoismus und das Wiederaufleben alter Unsitten“. Die beiden kommen aus Michigan. Seine Frau nickt viel, wenn ich spreche. Sie ist in Deutschland geboren, dann aber bereits im Alter von einem Jahr mit ihren Eltern nach Hawaii gekommen. Außerdem scheint sie indianischen Ursprungs zu sein. Also werfe ich auch gleich die Themen „Rassentrennung“, „Diskriminierung“, „Pride“ und mein Unverständnis, dass man in Deutschland im Kindergarten nicht mehr von „Indianern“, sondern von „Indigenen“ sprechen soll etc. mit auf. Ein bunter Blumenstrauß mit Fettnäpfchen am Wegesrand. Ich habe mich aber gut geschlagen, glaube ich. Meine Meinung kennt er jetzt jedenfalls - mit seiner rückte er nicht so richtig raus, da versuchte er diplomatisch zu sein …
Jetzt ist fertig und Feierabend. Gute Nacht - morgen lockt der Sonderzug nach Pankow, es geht nach Chattanooga …
Tagesetappe: 251 Kilometer
Übernachtung: Greystone Lodge on the River, Gatlinburg, 559 Parkway, Gatlinburg, TN 37738-3201