Tagebuch




Fields of Glory ...

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Jürgen am "Battlefield", Vicksburg National Military Park, Mississippi

Das Frühstück im „The Guest House Historic Mansion“ wird nicht als Buffet gereicht sondern kommt passend zur Ausstattung klassisch daher. Bedienung an den Tisch, Menüauswahl, echte Kaffeebecher, Gläser, Porzellan, Stoffservietten. Wir genehmigen uns diesmal beide die herzhafte Variante: 2 Rühreier, Käse, Bacon, Hashbrowns, Kaffee, O-Saft. Damit kommen wir bis in den Abend.

Schnell sind wir wieder auf den Blues-Highway #61, über den die heutige Strecke komplett führt. Der Streckenabschnitt ist sehr reizvoll; die Gegend wird deutlich hügeliger - in Wellen geht es den Highway hinauf und hinab.

Port Gibson ist eine kleine, liebliche Stadt, die dank der Gutmütigkeit von General Grant („So etwas Schönes darf man nicht niederbrennen“) den Bürgerkrieg unbeschadet überstanden hat. Am Wegesrand liegen wieder viele schön zurechtgemachte Häuser und Baumriesen. Auffällig sind aber auch hier wieder die zahlreichen Kirchen.

Mitten in Port Gibson biegen wir links ab, denn der erste Abstecher steht an. Der Weg allein lohnt - er führt über einen sehr reizvollen und einsamen Straßenabschnitt, gesäumt von Baumwollfeldern (die aber noch nicht bestellt sind und daher nur braunes Gestrüpp aufweisen) und auf den letzten Meilen wucherndem Kudzu-Efeu. Der ist aktuell auch grau. Wenn wir uns vorstellen, wie der in einigen Wochen saftig grün daherkommt - das ist bestimmt ein prächtiges Bild.

Der „Grand Gulf Military State Park“ erinnert an die Zeiten großer Schlachten während des Bürgerkrieges. Wir sind komplett alleine hier, die Rangerin erzählt uns etwas. Außerdem gibt es historische Artefakte in dem Museumsgebäude. Gruselig, sich vorzustellen, dass mit diesen Bajonetten und Säbeln hier höchstwahrscheinlich vor 150 Jahren Menschen getötet wurden. Gleiches gilt für die Schießeisen.

Draußen erkunden wir dann das Gelände. Eine kleine Kirche hat sogar eine historische Orgel, die aber funktionsuntüchtig sein dürfte - so wie die Tastatur beschaffen ist. Vor dem Stallschuppen gegenüber steht ein historisches Feuerwehrfahrzeug, drinnen Kutschen, Leichenwagen und ein historischer RTW, Aufschrift: „Original civil war ambulance Wagon - only one to have seen service in the war 1862“. Wieder ein Stück weiter: der Jail mit original Eisenkäfig im Gebäude. Hier möchte ich auch nicht eingesperrt sein. Mit dem Auto fahren wir die weiteren Punkte an: alter Friedhof und Aussichtsturm, der luftig daherkommt, ein wenig Frühsport abverlangt, aber nicht viel Aussicht zu bieten hat.

Das ehemalige Hafenstädtchen Grand Gulf direkt nebenan hat im Verlauf der Geschichte alle denkbaren Katastrophen ereilt: Überschwemmungen, Versandung des Mississippi, Epidemien (Gelbfieber und Cholera), Feuersbrünste, Verwüstung durch Tornados und die vollständige Zerstörung während des Bürgerkrieges, als die Unionstruppen hier über den Mississippi setzen um dann nach einer schweren Schlacht um Port Gibson weiter nach Jackson und schließlich gen Vicksburg marschieren zu können. Zugewachsene Schützengräber und zahlreiche Schilder erinnern im Wald an die Ereignisse von damals. Gespenstisch!

Wir fahren den Weg zurück nach Fort Gibson, um dann noch einmal abzubiegen. Der Weg ist super kurvig und hügelig, eine Achterbahnfahrt durch zugegeben sehr schönen Wald. 10 Meilen westlich der Stadt finden wir dann die „Windsor Ruins“. 23 korinthische Säulen sind alles, was von dem ehemals größten Plantagenhaus des Südens übrig geblieben ist. Das erst 1860 erbaute Haus fiel bereits 1890 den Flammen zum Opfer. Aktuell wird das baufällige Areal restauriert und ist komplett gesperrt. Wir haben Glück, denn gerade wird der Rasen gemäht. Man ist so nett und lässt und ein paar Fotos schießen, in das Gelände rein dürfen wir nicht - zu gefährlich. Auch hier mach dieser graue Kudzu-Efeu die Landschaft unwirklich.

Wieder zurück auf dem Highway #61 geht es weiter gen Norden. Kurz vor Vicksburg müssen wir mal wieder tanken - immer noch sehr günstig (2,889 $/GAL).

Nun steuern wir das Vicksburg National Military Park/Battlefield Museum an, in dem wir über 2 Stunden verbringen werden. Es ist unserer erster National Park auf dieser Reise. Der Jahrespass lohnt sich auch nach Ansicht des Rangers hier im Südosten nicht.

Auch in Vicksburg florierte zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Baumwollhandel; die günstige Lage an einer Biegung des Mississippi war sehr vorteilhaft für die Stadt.

Am Eingang des NP befindet sich das Visitor Center mit dem Museum des Parks. Ich bespreche mich mit dem Ranger, er weist auf einige Besonderheiten hin (Straßensperrungen, wie wir fahren sollten etc.) und ich erkläre ihm kurz, was ich über die Bedeutung der Schlacht bei Vicksburg zu wissen meine. Er bestätigt, dass ich richtig informiert bin - auch daran ist „Fackeln im Sturm“ nicht ganz unschuldig. Ein 18-minütiger Film und eine gelungene Ausstellung mit originalen Ausgrabungs- und Schaustücken aus Kriegszeiten erläutern uns in Kürze die Geschichte des Krieges und den Schlachtverlauf bei Vicksburg, wo sich damals 110.000 Soldaten gegenüberstanden, davon 80.000 auf Seiten der Nordstaaten.

Vor uns liegt jetzt eine ca. 15 Meilen (knapp 25 km!) lange Rundstrecke über das riesige Gelände (quasi das „Schlachtfeld“) mit zahlreichen Stops, unzähligen Gedenktafeln, Denkmälern, Heldenstatuen, Gebäuden, Kanonen etc. Zuerst fahren wir an den Stellungen der Unionstruppen vorbei. Immer wenn die Plätze diese Partei betreffen, sind die Schilder blau. Es ist beklemmend, sich vorzustellen, welches Leid diese Landschaft gesehen haben muss. Dabei ist sie so schön: hügelig, saftiges Gras, schöne Bäume. Ich sehe aber vor meinem geistigen Auge die Unionstruppen immer wieder gegen die Stellungen der Konföderierten anrennen, Menschen schreien und verwundet oder tödlich getroffen zu Boden fallen. Der Film von eben wirkt noch nach.

Das „Illinois Memorial“ hat eine große Treppe zu einer riesigen weißen Kuppel zu bieten. Innen wird an Generäle und Anführer aus Illinois erinnert, alles sehr schlicht und mit sagenhafter Akustik. Wir sind auch hier allein, es ist gerade mal keine Busladung angekommen. Gabi singt und es klingt extrem voluminös zurück. Hier verbringen wir etwas Zeit.

Auf dem Vicksburg National Cemetery, dem größten Bürgerkriegsfriedhof, sind 17.000 Menschen begraben, davon 13.000 unbekannt. Grabsteine bis zum Horizont. „Die meisten waren bestimmt Jüngskes!“ meint Gabi. Es waren aber damals alle Altersgruppen aufgerufen und dabei. Wie viel Leid hat dieser Krieg über die Familien gebracht? Totaler Wahnsinn!! „Totaler Wahnsinn“ war meine Idee für den Titel dieses Tagebucheintrages - passt meines Erachtens zu jeder Art von Krieg. Als wir so durch den Park fahren singt dann die unvergleichliche Eva Cassidy „Fields of Gold“ von Sting. Wer die Aufnahme nicht kennt (besonders die Akustikfassung!), sollte sie unbedingt mal anhören. So schön, so traurig. Und sie singt auch von den „Fields of Glory“ - das passt perfekt zu diesem Tag und den Schlachtfeldern, die wir heute gesehen haben.

Neben dem Friedhof liegt das USS Cairo Museum, wo ein wieder ausgegrabenes Kanonenboot aus dem Bürgerkrieg zu besichtigen ist. Das mit Wasserdampf und Schaufelrad angetriebene Boot ist zu allen Seiten mit Kanonen bestückt und zum Teil mit dicken Eisenplatten vor feindlichem Beschuss geschützt. Zum Schluss geht es noch an den Stellungen der Konföderierten entlang (rote Schilder).

Das Schicksal hier in Vicksburg wurde insbesondere durch den Bürgerkrieg bestimmt. 1863 belagerten die Truppen der Nordstaaten unter General Grant die Stadt 7 Wochen lang, bevor sie sich am 04.07.1863 ergab. Am Ende aßen die armen Menschen hier Ratten und Katzen, weil es nichts anderes mehr gab. Mit dem Fall von Vicksburg und der gleichzeitigen Niederlage bei Gettysburg am 03.07.1863 war der Krieg entschieden. Im Osten wurde die größte Südstaatenarmee zerschlagen und bei Vicksburg der wichtigste Nachschubweg abgeschnitten. Der Mississippi war nämlich die Lebensader der Konföderierten Armee. Nur so konnten sie mit wichtigem Nachschub aus nördlichen Staaten versorgt werden, die sich nur halbherzig der Unionsregierung unterordnen wollten. Mehr kann ich hier nicht beschreiben - die Informationen im Detail gehen zu weit.

Nur soviel noch an persönlicher Bemerkung: es waren 1860 die üblichen Zutaten für einen Krieg: „Rot“ (Unionstruppen der Vereinigten Staaten unter Präsident Abraham Lincoln) kämpft gegen „Blau“ (Konföderierte Südstaaten). Rot gegen Blau habe ich 1982 auch bei der Bundeswehr gespielt - genau so gruselig. Da stellte die NATO die „blauen“ - die „roten“ waren die Russen. 1860 fühlte sich „blau“ unfrei, gegängelt von der Union und wollte seinen Wohlstand (insbesondere das Recht auf Sklavenhaltung als Grundlage für diesen Wohlstand) behalten. Rot wollte die „Union“ retten und die Sklaven befreien. Noch ein paar kampfeswillige „Politiker“ dazu, Stimmung in der Bevölkerung aufheizen, kräftig umrühren und schon bringen sich Brüder, Nachbarn, Freunde gegenseitig um. Wer hat Recht? Wie immer im Krieg: niemand. 1863 hat „rot“ gewonnen. Frei waren die Sklaven zwar fortan formal - in den Köpfen ist die Rassentrennung aber vielfach auch heute nicht überwunden. Und auch heute noch bekriegen sich auf der Welt Menschen auf bestialische Weise - und wissen wahrscheinlich vielfach garnicht, warum eigentlich. „Totaler Wahnsinn!“

Wir steuern nun unser Hotel an. Gestern hatte ich noch geschrieben, das es wieder „normal“ wird. Da hatte ich ganz vergessen, dass wir uns für heute in Vicksburg in einem Casinohotel direkt am Mississippi eingebucht haben. Einigermaßen günstig, super Zimmer.

Wir fahren aber gleich nochmal los, weil wir noch Downtown sehen und etwas essen wollen. Dabei finde ich eine abenteuerliche Route, die z.T. über Schotterstraße, an zig „Lost Places“, stillgelegten Eisenbahnwagons vorbei und über ein Betriebsgelände führte - wir sind aber durch- und angekommen.

Downtown erinnert etwas an San Francisco - wegen der extrem steilen Fahrbahnen. Sonst nicht! Hier ist auch der Hund begraben. Nach 10 Minuten haben wir alles gesehen und steuern die Brewery an, die ich eben ausgemacht habe. Cocktail für Gabi, leichtes Bier für mich, Pizza für uns beide. Lecker, günstig, schöne Kneipe!

Zurück im Motel schauen wir noch kurz in das riesige Casino hinein. Unfassbar, diese Menge an Glücksspielgeräten. Roulette etc. geht aber natürlich auch. Wir machen ein Foto und sind nach weniger als 10 Minuten wieder raus. Das ist nicht unsere Welt, ich kann hiermit überhaupt nix anfangen und Gabi auch nicht. Sehr gut so. Denn auch diese Casinos versprechen vielen das „Field of Glory“ - und sind dann am Ende deren Untergang.

Gute Nacht, das war ein Tag mit einem ernsten Thema, welches aber unbedingt zu einer Reise durch die Südstaaten dazu gehört. Morgen wird der Blues-Highway seinem Namen alle Ehre und uns viel Freude machen (hoffe ich sehr)!

Tagesetappe: 228 Kilometer
Übernachtung: WaterView Casino & Hotel by Wyndham, 3990 Washington St., Vicksburg, MS 39180

© 2024 Gabi & Jürgen