Tagebuch




Jacks 'n' Johnny

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Jürgen im Jack Daniel Visitor Center, Lynchburg, Tennessee

Das Rezept des Tages? Man nehme 2 Jacks und füge einen Johnny dazwischen - schon ist der perfekte Urlaubstag geschaffen! Keine Sorge, ich kläre das auf!

Doch zuvor: gestern Abend haben wir erwartet, in dieser Nacht kein Auge zumachen zu können. Das einfache Motel besteht offensichtlich nur aus Bretterwänden, es reisen noch spät Gäste an, Fernseher laufen, von allen Seiten Geräuschkulisse inklusive Hundegebell. Doch wir sind müde genug und schlafen irgendwie ein. Als ich dann wach werde staune ich: die Nacht in um und wir haben erstaunlich gut geschlafen.

Um 09:00 Uhr müssen wir im Visitor Center der Jack Daniel Distillery sein. Da wir schnell eingepackt haben ist noch etwas Luft. Frühstück? Hier im Motel gibt es nix außer einem dünnen Kaffee. Nebenan ist ein Subway und es ist Samstag - noch geschlossen, war ja klar. Ich fahre die kurze Strecke bis zum General Dollar an der Hauptstraße, kleiner Supermarkt, alles mögliche zu kaufen - nur keine Sandwiches oder Subs o.ä. Tiefgefroren (!) Wären die zu haben, aber was sollen wir damit?

Also packen wir Tiny ins Auto, geben die Zimmerkarten ab und fahren noch kurz in die „Historic Downtown“, die wie gestern beschrieben nicht mehr zu bieten hat als ein Mini-Karree von Shops. Alle zu, einer auf: der „Southern Perks Coffee Shoppe“ - passt. Wir lassen uns 2 große Latte in unsere Yeti-Becher füllen und vermeiden damit einmal mehr die Verschwendung von Plastik. Die Zeit reicht sogar, uns noch 2 Bisquits mit Bacon, Ei und Käse zubereiten zu lassen. Schönes Cafe, wir verputzen unser Frühstück noch vor Ort und sind 3 Minuten später am Visitor Center. Ready for Whiskey.

Die Lage der Destille inmitten weiter Waldgebiete und am Rand diese mehr oder weniger verschlafenen Farmernests, in dem sich alles nur um den „Jack“ dreht, ist schon was Besonderes. Wir stehen auf der Liste, ich zahle 30 Dollar für 90 Minuten Tour inkl. Tasting pro Person und dann schauen wir uns die Ausstellung im Visitor Center an. Schön gemacht, inklusive Erklärstation, wie sie hier den Whiskey herstellen. Das kennen wir im Grundsatz, es gibt aber wesentliche Unterschied des Bourbon zum Scotch: zunächst ist es in ganz Amerika so, dass zur Lagerung des hier als „Moonshine“ bezeichneten Rohdestillats ausschließlich „Virgin Oak“-Fässer genutzt werden dürfen. Das heißt es müssen immer frische Fässer her aus amerikanischer Eiche. Das gefällt den Schotten, die die „first fill Bourbon-Fässer“ nach ihrer Nutzung kaufen und für ihre Lagerung benutzen; die Fässer bringen schon etwas Bourbon-Geschmack mit und das tut dem Whisky oft gut. Später veredeln die Schotten ja vielfach durch Umfüllen in andere Eichenfässer (Sherry, Port, Wein etc.) - das ist hier nicht so verbreitet.

Der „Tennessee Whiskey“ hat aber eine weitere Besonderheit: der Moonshine wird vor der Lagerung im Fass durch gut 3 Meter hoch aufgeschichtete Holzkohle geträufelt und so gefiltert. Fuselalkohole, Fette etc. werden so herausgefiltert und es entsteht ein weicheres Destillat.

In der Ausstellung gibt es natürlich auch historische Flaschen und vieles mehr. Blickfang ist ein alter Lieferwagen. Es gab eine kurze Zeit, da hat man hier (naheliegend) auch Bier hergestellt und dieses wurde dann hiermit ausgeliefert. Das war aber nur eine kurze Phase - Tiny gefällt der schmucke Wagen.

Die Gruppengröße beträgt hier bis zu 28 Personen je Guide, um 09:15 Uhr ist bereits eine entsprechend große Gruppe gestartet. Als wir um Punkt 09:30 Uhr von Matt, unserem jungen Guide, der sich bereits seit seiner Kindheit hier in der Distillery herumtreibt aufgerufen werden trauen wir unseren Augen nicht. Wir kommen in den Nebenraum, wo die kurze Einführung stattfindet und sind nur zu viert! Ein Paar aus Texas, wir beide (mit Tiny) - und Matt. Unfassbar, das ist so ein Glücksfall. Wir haben quasi eine Privatführung und Matt sagt, dass er selbst erstaunt ist, weil es das so gut wie nie gibt. Klasse, es kann losgehen!

Toll an der kleinen Gruppe ist auch, dass ich ganz entspannt Fotos machen kann, ohne das mir ständig Leute im Weg stehen. Leider ist in den Gebäuden, in denen mit dem Destillat umgegangen wird, das Nutzen aller elektronischen Geräte untersagt (Explosionsgefahr - „wir wollen ja nicht heute noch den lieben Jack besuchen“). Das erste kleine Wegstück bergauf werden wir mit dem Bus gefahren. Wir stellen uns gegenseitig vor, richtig gemütlich. Die Texaner haben noch einen Jack-Daniels-Cocktail mit Zitrus und Eis bestellt, großer Becher. Auf meine Antwort, dass ich noch fahren muss und wir uns das daher verkneifen lachen die Amis herzlich: „Wir sind Texaner!“ Und auch Matt bestätigt, dass hier so richtig niemanden interessiert, ob man fahren muss oder nicht (in Grenzen, denke ich - oder?). Matt erzählt, dass die Touren inkl. ausgiebigem Tasting bis vor einigen Jahren noch kostenlos waren. Inzwischen haben sie 300.000 Besucher jährlich und haben das System umgestellt.

Wir schauen uns zunächst die Besonderheit an: den Platz, wo die Holzkohle hergestellt wird, immer von den gleichen Leuten, die Matt schon sein Leben lang kennt. Sie lagern Sugar Maple (Zucker-Ahorn) für 9 bis 12 Monate auf dem Gelände der Distillery und „würzen“ das Holz so mit allem, was hier so an angenehmen Gerüchen herrscht. Dann schichten sie es auf und zünden es mit einem historisch anmutenden Flammenwerfer an Wenn das Holz gut verbrannt ist und der Kohle-Status erreicht ist löschen sie das Feuer mit Wasser, schichten um, löschen wieder usw. Dann wird die Kohle geschreddert, so dass ein Granulat entsteht und in einem Hochbehälter gelagert bis sie benötigt wird.

Als nächstes zeigt uns Matts die Wasserquelle, die hier durch eine Art Höhle fließt. Das Wasser ist regelmäßig glasklar und heute wegen des Regens gestern etwas eingetrübt. Es enthält besonders wenig Eisen und ist daher super geeignet. Hier hat Jack Daniel begonnen und hier steht auch seine Statue. Markenzeichen von Jack war es, dass er stets piekfein gekleidet daher kam. Niemals hat er sich anders fotografieren lassen - das war sein Steckenpferd: Anzug, Fliege und Hut mussten sein. Die Distillery ist mehrfach (drei mal?) abgebrannt (heute ist die Werksfeuerwehr besser besetzt als jede Flughafenfeuerwehr im Umfeld), alle Steinhäuser mussten mehrfach neu aufgebaut werden. Überlebt hat stets nur das kleine, aus Holz gebaute Office von Jack hier an der Quelle - und dorthin begeben wir uns jetzt und Matt führt die Geschichte rund um den kleinen Jack zu einem traurigen Ende..

Jack Daniel war und ist ein Familienunternehmen. Es gibt in diesem nur 300 Seelen umfassenden Örtchen quasi niemanden, der nicht irgendwie mit der Distillery verbunden ist. Jack Daniel wurde 1850 als das zehnte von zehn Kindern geboren und hatte von Beginn an keinen leichten Stand in der Familie. Mit 5 Jahren wurde er an einen Reverent „zur Pflege“ abgegeben und schon mit 13 Jahren begann er, seinen ersten Moonshine zu produzieren. Mit 16 Jahren kaufte er einen Teil dieses Geländes und zwar den Teil, auf dem sich die Quelle befindet. Dort installierte er seine Spirit-Still im Fels direkt über dem Wasser. Die Stelle kann man auch heute noch gut erkennen.

Der Hauptraum ist unverändert: originaler Schreibtisch, Uhr, Ofen, Tresor. Morgens kam Jack hier herein, setze sich an den Schreibtisch und arbeitete. Zwischendurch musste er natürlich auch mal an den Tresor. Eines Tages bekam er das störrische Ding nicht auf und trat voller Wut dagegen - und brach sich den großen Zeh. Leider hat er sich nicht behandeln lassen. Nach 9 Monaten musste ihm der Zeh amputiert werden, ein weiteres halbes Jahr der Unterschenkel. Er starb dann einige Monate später im Jahr 1911 an den Folgen der Blutvergiftung; der Brandherd hatte sich bis zur Hüfte weiter entwickelt. Brrrr.

Es hängen dort auch Fotos von den Master-Distillern. Der heutige ist 41 Jahre alt und macht den Job schon seit 26 Jahren; er ist der Enkel des vorletzten Chefs. Ihm steht eine junge Frau zur Seite, die seine Aufgabe sicher irgendwann einmal übernehmen wird. Mit 100 Millionen Litern/Jahr ist Jack Daniels heute eine der meistgetrunkenen Spirituosen weltweit.

Nun schauen wir uns die Stills an. Sie verwenden keine bauchigen Pottstills wie die meisten schottischen Distillerys sondern ausschließlich zylinderförmige Columnstills, die 52 Stunden laufen, dann gereinigt und wieder in Betrieb genommen werden. Die Fermentierung findet nebenan statt, es riecht sehr gut. Als Grundlage nehmen sie fast bei allen Abfüllungen Mais, Gerste und Roggen nach dem „Geheimrezept“ von Jack. Die nach der „Bierherstellung“ verbleibenden Feststoffe werden vollständig als Tierfutter an die Höfe in der Umgebung gegeben, glückliche Kühe, Pferde und Schweine!

Dann kommen wir in den Bereich, wo das junge Destillat durch die Holzkohle geträufelt wird, „dropje for dropje“. Über 3 Meter Holzkohle müssen die Tropfen durchlaufen, bevor sie später ins Fass gelangen. Die Holzkohle wird alle 9-12 Monate gewechselt und es dauert dann immer eine ganze Woche, bis der neue „Stoff“ durchgelaufen ist. Dieser wird dann sicherheitshalber noch einmal gefiltert und weiter geht die Reise.

Der Tastingraum ist in ein Fasslager integriert, sehr urig. Wir sitzen in dem gläsernen Raum umgeben von Fässern und haben jeder 6 Pinnekes vor uns stehen. Matt gibt die Erläuterungen, wir probieren: „Gentleman Jack“, der komplett zwei mal gefiltert wird, um ihn noch weicher zu machen. Dann gibt es den klassischen „Jack Daniel’s old No. 7“ (Fasslagerung ist hier mindestens 4 Jahre). Es folgt der „Jack Daniel’s Rye“, der komplett aus Roggen hergestellt wird und einen ganz anderen Geschmack hat. Dann folgen noch „Jack Daniel’s Tennessee Honey“, „Jack Daniel’s Tennessee Fire“ (mit Zimt) und „Jack Daniel’s Tennessee Apple“. Für letztere hat Matt unzählige Verwendungsmöglichkeiten: auf Eis, vermischt mit Tee, Kaffee, Limonade, gefroren oder zu Speiseeis gegeben etc. Wir sollten zu Hause mal mehr ausprobieren!

So viel dazu, alles andere sprengt den Rahmen. Tolle Tour!!

Auf dem Weg nach Nashville stoppen wir bei bestem Wetter noch kurz bei einem Walmart. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Mengen manche Familien hier einkaufen. 2 große Einkaufswagen voll mit Unmengen an Fleisch etc. lassen uns vermuten, dass hier immer für mehrere Wochen eingekauft wird.

In Nashville fahren wir zum Hotel, das in „East-Nashville“ liegt. Diejenigen in Downtown waren einfach viel zu teuer. Unser Hotel bietet einen stündlichen Shuttle nach Downtown an. Der kosten 15 Dollar pro Person hin und zurück. Das ist ein super Preis für die halbstündige Fahrt und wir sind heilfroh, dass wir unser Auto hier stehen lassen können. In Nashville ist nämlich die Hölle los. Ausnahmezustand! Hier ist am Broadway ja immer die bekannte Partymeile mit unzähligen Kneipen, alle mit Live Music, zum Teil auf 3 Etagen. So was haben wir noch nie gesehen. Hinzu kommt: es ist Springbreak (die Jugendlichen sind außer Rand und Band), es ist ein großes Basketball-Turnier mitten in der Stadt (Bridgestone Arena) - jede Menge Sportfans feiern. Es ist Samstag und es ist St. Patrick’s Day - grün, wohin das Auge schaut. Menschenmengen und ein infernalischer Lärm der sich vermischenden (sehr guten) Live-Acts.

Wir retten uns erst mal in den ersten Apple Store unserer Reise und Gabi bekommt die dringend benötigte neue Hülle für ihr iPhone. Dann stürzen wir uns ins Getümmel. Das ehrwürdige Ryman Auditorium ist groß und hat eine schöne Backsteinfassade. Fotografieren ist sehr schwierig wegen der ganzen Leute. Das „at & t“-Building heißt umgangssprachlich auch „Batman“. Überall fahren Partybusse oder -gefährte rum, ebenfalls mit eigener Musik und Gekreische. Viele Junggesellinnenabschiede, die meisten Mädels tragen bauchfrei, Cowboystiefel (gerne weiße) und knappe Röcke, wobei der Körperumfang völlig nebensächlich ist.

Wir schauen, dass wir ins Johnny Cash Museum kommen. Das liegt in einer Seitenstraße und hier haben wir Zeit. Der „Man in Black“ nimmt uns lange gefangen. Wir schauen uns alles in Ruhe an, Instrumente, Klamotten - auch von seiner zweiten Frau June Carter Cash. An vielen Audio- und Videostationen sehen und hören wir uns Beispiele seines Lebenswerkes an. Ich muss hier abkürzen - er war ein ganz großer mit einer sehr langen, erfolgreichen Karriere. Aber er hat in seinem Leben auch viel „Rock ‚n‘ Roll“-Erfahrung sammeln müssen inkl. Abhängigkeiten und miesen Phasen und Erfahrungen. Der grandiose Film „I walk the Line“ mit Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon (die alle Titel selbst singen) sei hier wärmstens empfohlen!

Nun gehen wir noch zur Country Music Hall of Fame und checken, was morgen geht. Alles gut, ich kann am Besten übers Internet Karten kaufen, was ich dann auch abends noch mache.

Nun haben wir Hunger, aber überhaupt keine Lust, uns hier in diese übervollen Kneipen am Broadway zu stürzen, wo man selbst ein Bier nur in Zeichensprache bestellen kann. Infernalischer Lärm. Zu unserem Entzücken finden wir das „Cerveza Jack’s“, eine mexikanisch angehauchte Bar in der 2nd Street. Eine junge Frau (in hohen Cowboystiefeln) singt zur Gitarre - sehr, sehr gut!

Bier gibt es nur aus der Dose - dafür heißt meines „Hippies and Cowboys IPA“ und schmeckt. Wir lassen Margaritas folgen und essen tolle Nachos mit chipottle chicken und Steak-Quessiladas. Genau der richtige Ort für uns.

Der Rücktransport zum Hotel läuft reibungslos, allerdings beobachten wir einen Unfall. Zwei junge Pärchen sind sehr fix mit dem Elektrotretroller unterwegs und kreuzen unsere dreispurige Fahrbahn, ohne Vorfahrt zu haben. Ein Auto neben uns erwischt die hinteren in voller Fahrt am Hinterreifen, die beiden stürzen - scheint aber nochmal gut gegangen zu sein. Eine Sekunde früher und es hätte ziemlich sicher zwei Tote gegeben. Puh! Zufällig steht direkt neben uns ein Ambulanzwagen, der hält sofort und nimmt sich der Sache an.

Wir checken ein und gratulieren erst mal der lieben Margret zum 60sten. Dort ist die Party im vollen Gange und wir platzen per Skype hinein. Gabi hat um 18:59 Uhr gerade noch zwei gratis Whisky-Cocktails erobert, die es hier zur Happy Hour bis 19.00 Uhr gibt. So können wir sogar anstoßen. Anschließend beziehen wir unser geräumiges Zimmer mit zig Steckdosen und allem, was wir benötigen.

Da es noch so schön ist verziehen wir uns aber mit unseren Getränken und dem Mac noch nach draussen an den Pool. Das Tagebuch schaffe ich heute ohnehin nicht mehr und ich bin froh, dass die Fotos noch fertig werden. Das Wifi ist aktuell so schlecht, dass an die Website ohnehin nicht zu denken ist. Morgen starten wir mit dem Shuttle um 11:00 Uhr, da habe ich vorher noch Zeit für das Tagebuch. Passte - es ist jetzt fertig (10:25 des Folgetages).

Ein Jack (Daniel) am Vormittag, ein Johnny (Cash) am Nachmittag und ein Jack („Cerveza“) am Abend - das war ein super Tag mit tollen Eindrücken.

Tagesetappe: 119 Kilometer
Übernachtung: Club Hotel Nashville Inn & Suites, 2435 Atrium Way, Nashville, TN 37214

© 2024 Gabi & Jürgen