Tagebuch
Hangin' around
11.03.24 04:45 Abgelegt in: Louisiana | Mississippi

Gabi und Jim am "Under the Hill Saloon", Natchez, Mississippi
Wir haben super geschlafen in unserem palastähnlichen Cottage. Es ist schon wieder eine Stunde später als gewohnt - es gilt ab heute Nacht die „daylight saving time“ (Sommerzeit). Passend dazu hat sich die Sonne bestens herausgeputzt und begrüßt uns mit strahlend blauem Himmel. Das sieht nochmal schöner aus und wir drehen eine weitere Rund durch „unseren“ tollen Garten. Dabei lässt sich auch Herr Pfau portraitieren und der zweite spannt sogar seinen Kranz auf. Auch die Vogelhäuser haben Format - das vergaß ich gestern zu erwähnen.
Frühstück gibt es im „The Dixie Cafe“, das auch seine ganz eigene Atmosphäre verströmt. Ich lasse es mir deftig schmecken. Neben Rührei mit Käse und Tomaten überbacken gibt es knusprigen Bacon, diese typisch scharfe Südstaatenwurst (wie Chorizzo, aber schmaler), kräftig gewürzte Bratkartoffeln, jede Menge Shrimps, frisch gepressten O-Saft und Kaffee. Ich zwinge ,mich, bei einer Portion zu bleiben - die Fritten und frittierten Shrimps von gestern Abend sättigen immer noch.
Auf dem Rückweg zum Cottage skypen wir mit Vater, der so auch einen Live-Eindruck von dieser tollen Anlage erhält. Schnell sind die Sachen gepackt - es ist dennoch bereits kurz nach 10:00 Uhr, als wir rollen.
Gleich zu Beginn: Blaulicht auf dem Highway - ist etwas passiert? Nö, es ist Sonntag und es fahren so viele Autos auf den Parkplatz zum Gottesdienst, dass die Polizei das begleitet.
Auf dem Programm steht zunächst mal ganz unspektakulär ein Besuch des winzig kleinen Städtchens St. Francisville. Dieses war einst ein wichtiges Zentrum der Baumwollplantagen des Südens und hatte auch als Umschlaghafen seine Bedeutung. Die durch den Bürgerkrieg kaum beeinträchtigte Stadt hat sich ihren lieblichen Charakter und das für eine Südstaatenstadt typische Erscheinungsbild erhalten. Schön ist es heute, durch die restaurierte historische Innenstadt (Ferdinand/Commerce St.) zu schlendern. Dabei kann ich nicht anders, als diese schönen Häuser abzulichten. Wir fangen einen coffee to go im Magnolia Cafe und können so gleich auch mal die Restroom benutzen.
Etwas weiter nördlich biegt links der Highway #66 ab; es ist nur ein kurzer Abstecher zur Greenwood Plantation, bekannt aus „Fackeln im Sturm“. Bei der Anfahrt bitte ich Siri, die Titelmelodie zu spielen und wir sind bester Stimmung. Leider kann man die Plantation nicht ohne Voranmeldung besuchen und weiter als bis zum Tor kommen wir nicht. So erhaschen wir auch keinen Blick auf das schöne Haupthaus, in dem (filmisch) die arme Madelaine von Fiesling David Carradine gequält wurde. Egal - der Weg ist das Ziel und die schöne Gegend entschädigt uns locker.
Wieder auf dem Blues-Highway #61 dauert es nicht lange, bis wir die Staatengrenze nach Mississippi erreichen. Schöne Staatenschilder etc. mit Texten, die wir für unsere „Sammlung“ gut gebrauchen können. Als wir morgens auf die #61 aufgefahren sind, meinte Gabi, es sei Zeit für „Still got the Blues“ von Garry Moore. Siri erfüllt alle Musikwünsche und im weiteren Verlauf unterhält uns der gute Eric Clapton.
Kurz vor Natchez steht rechts am Highway „Mammy’s Cupboard“, ein aus Reiseführern bekanntes Mini-Cafe in der Bauform einer Dame.
Und schon sind wir in Natchez, das viel kleiner, gemütlicher und schöner rüber kommt als wir erwartet haben. Unser historisches Hotel zu finden ist ein Klacks. Leider ist es noch eine Stunde zu früh zum Einchecken und hier machen sie keine Ausnahme. Kein Problem, kurz Google Maps aufgerufen und geschaut, was geht. Um die Ecke ist die Natchez Brewing Company zu Hause - ein super Programmpunkt zur Überbrückung. Es ist schließlich Sonntag. Auf dem Weg passieren wir schöne Gebäude und bunte Blumen. Die Natur scheint hier weiter zu sein. Gut!!
Am Natchez City Auditorium, einem ebenfalls imposanten Gebäude wird die Rassentrennung problematisiert: „Proud to take a stand“ - „stolz gegen Rassismus aufzustehen“. Die Brewery ist ein cooler Ort, ganz nach meinem Geschmack - auch optisch. Alles ist sehr offen und man kann auch draussen sitzen bei dem super Wetter. Deutsche Zutaten werden in Säcken unter der Decke gelagert. Gabi nimmt wie immer ein Cider und ich bekomme meine erste „Flight“, wobei ich selbst bestimmen darf, womit die 4 Probiergläschen befüllt werden. Ich entscheide mich für ein leichtes („Bluff City Blonde“), ein Weizen mit Erdbeergeschmack („Wheat Willy on strawberries“), ein hazy IPA („Capitol“) und ein Coconut-Porter („cast away“). Lustig werden sie serviert in kleinen Schraubgläsern, die wir von zu Hause kennen: da ist sonst Pizzasoße drin, Heiner wird sich schütteln. Wir hängen rum (was hier nicht abwertend aufgefasst wird - „just hang a little bit around“ meint einfach: „lass es dir gut gehen und warte etwas“).
Jetzt gehen wir noch ein paar Schritte zum Mississippi, der eindrucksvoll breit daher fließt. Ein Schild an einer kleinen Bar spricht mich an: „The Little Easy“. Ich hatte ja gestern schon geschrieben, wie toll ich NOLA („The Big Easy“) fand und dennoch das Gefühl habe, wir gehören eher ins Dorf und die Natur. Das wird heute eindrucksvoll bestätigt und „The Little Easy“ passt perfekt zu diesem Tag.
Die Mainstreet hoch, auch hier: schöne Gebäude und ein Schild mit einem Spruch von Martin Luther King, der auch heute (oder gerade heute wieder) seine Bedeutung hat.
Es ist 15:30 Uhr, wie checken ein und bekommen das zu Hause schon ausgesuchte historische Zimmer - denn hier ist jedes anders und du kannst aussuchen, wie du wohnen möchtest. Historisch halt. Passt zum Reiseverlauf - ab morgen wohnen wir aber wieder „normaler“.
Jetzt ist das Tagebuch bis hierher schon fertig und heute Abend habe ich etwas weniger zu tun. Aber jetzt gehen wir auf jeden Fall noch runter zum Fluss. Die Silver Street („Natchez Under the Hill“) soll toll für den Sonnenuntergang sein, ebenso die Promenade am „Broadway“. Im „Under the Hill Saloon“ hängen historische Fotos aus! Da könnten wir ja auch hinein schauen, mal sehen.
Ich schau mal, wo Gabi steckt - die ist vor einiger Zeit verschwunden. Ich finde sie auf dem großen Etagenbalkon im Liegestuhl. Da geselle ich mich mal dazu.
Der Weg hinunter zum Fluß ist später schnell gefunden - auch hier ist alles viel übersichtlicher, als gedacht. Eine ganze Reihe Leuten jeden Alters hängen draußen vor dem Saloon herum, manche am Zaun gegenüber, manche bei ihren Harleys, andere an ihrem Truck. Ich gehe hinein und beschaffe eine Flache Cider und eine Flasche Bier („Southern Pecan - The original Pecan Nut Brownale, ale brewed with roasted pecans). Es sieht so aus, als gäbe es auch Live-Musik. Auf kleinster Fläche stehen ein Drumset, ein Bassist und zwei Gitarristen.
Als ich wieder vor den Saloon trete traue ich meinen Augen kaum: Gabi im angeregten Gespräch mit zwei älteren Herren. Na dann störe ich mal nicht, reiche ihr das Cider und gehe ein paar Fotos schießen. Dabei komme ich ins Gespräch mit einem super netten Typen, der auch eine Nikon hat - aber was für eine: Die nagelneue Nikon Z9, das Flagschiff unter den spiegellosen Nikons. Er hat das gleiche Objektib drauf wie ich, aber eben aus der neuen Z-Serie. Respekt!! Ich darf ein wenig herumprobieren und und bin beeindruckt. Ganz andere Nummer. Nunja, fiftyfive hundrets bucks für allein den Body - das kostet das gute Stück bei uns in Euro. Dafür 45 Megapixel - und extrem hoher Dynamikumfang. Er erzählt, dass er viel Sportfotografie macht, Baseball und so. Dabei schießt er mit dem Teil schon mal 120 Bilder pro Sekunde (!).
Zwischendurch kommt auch der Norweger vorbei, der bei uns im Hotel im Nebenzimmer wohnt und der von Miami Beach nach LA fährt und unterwegs in Vegas seine Frau treffen will. Wir hatten ihm im Hotel mit einigen Hinweisen zu New Mexico, Arizona und Utah helfen können. Wir grüßen uns, als würden wir uns schon ewig kennen.
Nach einer Weile stelle ich fest: wir hängen, inzwischen bei der jeweils zweiten Pulle angekommen, genau so hier rum wie die Locals. Die Harleys knattern mit viel Spektakel davon, es folgt ein Pickup mit noch mehr Radau. „700 Horses“ raunt mir mein Nachbar zu - Hammer, 700 PS!
Ich stelle ganz sachlich fest, wie sehr mir dieses „hangin’ around“ hier gefällt. Ich blicke auf den Mississippi in der Abendsonne, in der Hand eine kleine Pulle Bier, neben mir Gabi und die netten Typen - wir reden über Gott und die Welt, oder gucken einfach mal ein Loch in die Luft. So cool, dieses „hangin’ around“ - ein toller Moment, der mit einer ganzen Portion Dankbarkeit echt zu Herzen geht.
Drinnen gibt die Band alles und die können wirklich was. Schönes Programm, Pink Floyd, viel Blues, aber auch Santana, Jimi Hendrix und Konsorten. Flinke Finger, trotz des Alters. In einer Pause quatsche ich mit dem Bassisten, der gleich „Folsom Prison Blues“ von Johnny Cash für mich spielen will. Jim und Gabi sind mir jetzt auch an die Bar gefolgt und Jim gibt mir noch ein „Pecan“ aus: „Don’t sorrow, I’ve enough money for the rest of my life - if I’ll die on tuesday, haha!“ Jim trinkt Cognac auf Eis aus einem Styroporbecher - die seien hier recht großzügig mit den Spirits. Stimmt, der Becher wird bis oben gefüllt.
Er ist echt ein freundlicher, stiller, älterer Herr, der Jim. Eigentlich kommt er aus Michigan, wo sein Haupthaus steht - auch historisch aus dem Jahr 1889. Das ist im im vergangenen Jahr fast komplett abgebrannt und nun muss er sehen, was er damit macht. Zeitweise lebt er hier in Natchez. Da kommt ein weiterer Gast - er würde jetzt tanzen, wenn ich mag könnte ich mit meiner coolen Kamera mal ein paar Bilder von ihm machen. Das geht natürlich nur mit viel Unschärfe, so wie er hopst und bei der Dunkelheit hier.
Nach über zwei Stunden inmitten dieser feinen, coolen Community müssen wir aufbrechen. Wir hätten schon vor längerer Zeit Abendessen wollen. Nun landen wir im „Bisquits and Blues“ auf der Mainstreet - auch eine Empfehlung von Jim. Ribs mit Bohnen und Cole Slaw für mich, Nudeln mit Hühnchen und Pilzen in cremiger Soße für Gabi. Rappelvoll ist die Bude hier, glücklicherweise waren wir noch nicht zu spät.
Viel zu spät ist es jetzt wieder. Hätte nicht gedacht, doch noch so lange zu schreiben und an den Fotos zu werkeln. Jetzt noch einbauen und ab ins Bett - Gabi liegt schon und da gehöre ich jetzt gleich auch hin. Was war das für ein schöner Tag. Die 2 Stunden am Saloon „under the hill“ werde ich nie vergessen. Gute Nacht!
Tagesetappe: 224 Kilometer
Übernachtung: The Guest House Historic Mansion, 201 N. Pearl Street, Natchez, MS 39120