Tagebuch
"Was wir so alles machen ...!"
09.03.24 03:06 Abgelegt in: Louisiana

Jürgen und die erste Trompete von Louis Armstrong, Jazz Museum, New Orleans, Louisiana
Tolles Zimmer, gute Nacht - wenn es auch gestern Abend (zu) spät wurde mit dem Tagebuch etc. ich korrigiere als erstes mal die gröbsten Schnitzer, die mir heute Nacht dann doch unterlaufen sind. Dann gehen wir ganz entspannt frühstücken. Das geht hier sehr fein am Pool bzw. unter den schönen Bäumen im Innenhof.
Entgegen der Vorhersagen regnet es noch nicht. Also stiefeln wir los. Zunächst durchqueren wir noch einmal den Louis Armstrong Park gegenüber. Wenn wir hinten raus gehen, gelangen wir in einen anderen Stadtteil: Treme. Hierher verirren sich Touristen eher selten und wir genießen die Ruhe in den Straßen. Der Stadtteil Treme erinnert ein wenig an das French Quarter der 1980-er Jahre. Viele Häuser wurden nach Katrina bunt und frisch gestrichen, andere stehen immer noch schief. Wir laufen einige Blocks ab. Auch hier erleben wir wieder diese. Mischung von tollen Häusern und atemberaubenden Bäumen. An einer ziemlich verwahrlosten Kirche haben Sie das „Grab des unbekannten Sklaven“ gekennzeichnet.
Bunt ist es hier auch und an den lustig bemalten Mülltonnen treffe ich eine etwas flippig gekleidete „local“, die die Tonnen auch fotografiert. Sie habe „die noch nie gesehen, lustig, oder?“ „Ja, bist du von hier?“ „Klar, ich wohne gleich da vorne - aber wenn man hier lebt, wird man schnell funny and crazy!“ Spricht es und geht leise in sich hinein kichernd ihres Weges.
Wir landen naturgemäß wieder im French Quarter und stellen fest, dass man hier auch heute noch sein Pferd anbinden kann, wenn man geritten kommt. Es ist um diese Uhrzeit wieder mal kaum etwas los und wir machen Bilder von der schönen Architektur. Es sind viele locals unterwegs, um ihre Hunde auszuführen. In einem Hexenladen verkaufen sie nicht nur Voodoo-Puppen, sondern auch Besen als Fortbewegungsmittel. Harry Potter hätte in diesem Laden auch seinen Spaß.
Wir wissen, dass es irgendwann immer mal wieder regnen wird heute. Deshalb haben wir so einige Museen auf dem Zettel - den Rest müssen wir in Kneipen überbrücken. Schon von Treme aus steuern wir das New Orleans Museum of Jazz an. Es liegt am unteren Ende der wunderschönen Esplanade Ave mit ihren großen, schattenspendenden Bäume und der vom Tourismus noch nicht beeinflussten Architektur in der ehemaligen Münzpresse „The Old Mint“. Ein Raum des Museums widmet sich den historischen Pressverfahren - sehen wir uns an.
Das Museum führt immer wieder auch mal Livemusikveranstaltungen durch und dieses Wochenende ist es mal wieder so weit: von heute bis Sonntag tobt hier das „Denny Barker Festival“. Es spielen ganztägig Bands vor dem Museum und zusätzlich im Konzertsaal des Hauses. Das sind wohl ziemliche Größen, die sich hier die Hand reichen - uns Jazz-Banausen sagt das nichts. Alle, die wir hören, scheinen aber zu wissen, was sie tun - lecko fanno!!
Das Museum ist interessant und führt uns zu den Ursprüngen des Jazz zurück. Sehr, sehr coole Fotos und historische Instrumente sind zu sehen. Fats Domino und sein Piano spielen eine große Rolle und „Drummville“ bezieht sich zu einem großen Teil auch auf den Congo Square, den wir gestern schon besuchten. Louis Armstrongs erste Trompete ist natürlich ein Highlight.
Als wir hinauskommen aus dem Museum regnet es sich gerade mal wieder für eine gute halbe Stunde ein. Und wenn es regnet, dann schüttet es aus Kübeln. Kein Problem bei 25 Grad, Einkehrmöglichkeiten gibt es ja genügend. Wir flüchten uns in die Oyster Bar in der Bourbon Street. Wir müssen heute nicht mehr fahren und Gabi gönnt sich eine Sangria. Für mich ist eines dieser local draft beers immer eine Option. Austern roh kennen wir schon - nicht so 100% unser Fall. Also testen wir mal die gegrillte Art „cajun style“. Gewürze, Butter und Käse machen das Ganze zu einem durchaus schmackhaften Erlebnis.
Der Himmel hängt voller Wolken - lange wird es nicht dauern bis zum nächsten Wolkenbruch Gestern Abend auf dem unfreiwilligen Heimweg wegen steckengebliebener Streetcar hatten wir entdeckt, dass es zwischen Canal Street und Garden District eine Ausstellung über Claude Monet gibt - und Gabi findet, dass das auch mal etwas anderes sei. Ich reagiere mit unserem „running gag“ dieser Tage, sage nur „Wir machen Sachen …!“ und steuere unsere Schritte Richtung Ausstellung. Als wir dort ankommen, öffnen sich gerade wieder sie Himmelsschleusen.
So richtig anfangen kann ich weder mit Claude Monet (nun gut, ich weiß, dass er bunte Bilder gemalt hat mit so Farbtupfen) noch einer solchen Ausstellung etwas. Dazu ist der Eintritt nicht gerade ein Schnapper. Aber: „Was wir so alles machen …!“ Hat in den vergangenen Tagen oft zu überraschend schönen Erlebnissen geführt und so folge ich den Wünschen der kunstinteressierten Gattin, was sich als Glücksfall entpuppt.
Es geht ganz harmlos los: Farblehre, Farbmischungen, Komplementärfarben, Gemeinsamkeiten zwischen Malerei und Fotografie (das kenne ich natürlich und da werde ich schon hellhörig), sein Leben auf dem Zeitstrahl - in Beziehung gesetzt zu den sonstigen geschichtlichen Highlights seiner Zeit. Mit 15 Jahren hat er Cartoons gezeichnet, nicht sonderlich erfolgreich. Mit 29 versucht er sich das Leben zu nehmen. Anschließend kommt Schwung in seine Bekanntheit und Anerkennung. Er hat eine große Familie, seine Freu stirbt früh, er heiratet ein zweites Mal und überlebt auch seine zweite große Liebe. Reisen nach London und Italien (Venedig) beeinflussen seine Malerei noch spät sehr. Er stirbt1926 mit 86 Jahren.
Dann folgen Beispiele seiner Kunst im Laufe seines Lebens. Verdammt, die machen das sehr gut hier: logisch, dass eine Malerei lange von seinem schönen Anwesen, seiner Familie und der Natur in seiner Umgebung (Wasserlilien) beeinflusst wurde. Dann hat er sich mit technischen Dingen beschäftigt und versucht, auch bewegte Dinge, vor allem Eisenbahnen dynamisch darzustellen. London und Venedig lagen eher am Ende seines Lebens. Erscheint mir jetzt schon sehr schlüssig.
Nächster Raum: so etwas wie sein „Arbeitszimmer“ mit Beispielen seiner Kunst - kommt mir jetzt schon sehr bekannt vor. Wir sind allein hier und Gabi kann sich dort ungezwungen umschauen. Dann folgt ein Raum, in dem man durch seine Wasserlilienlandschaft gehen kann, sogar über die geschwungene Brücke. Irgendwie sind wir jetzt mittendrin in seiner Kunst. Der weiche Rasen, über den wir gehen, die Projektionen im „Teich“ und die Geräuschkulisse mit Vögeln und Kröten tun ihr Übriges.
Jetzt wird es heftig: ein Saal mit Liegestühlen, Sitzkissen zum rumflätzen, Bänken. Ich zähle im Laufe der nächsten 30 Minuten mindestens 29 Projektoren. Überall ist Farbe und Bewegung, dazu Musik und Geräusche. Ich tauche komplett ein in sein Leben und seine Malerei, die geschickt projeziert und aus natürlichen Szenen heraus „entwickelt“ wird. Faszinierend! Sie bilden hier per Videoinstallation sein Leben und seine Schaffenskraft nach - mit Farben und Effekten, die vor meinem Auge zu explodieren scheinen. Das hat sich unbedingt gelohnt.
Der Hammer kommt aber zum Schluss - frei nach Steve Jobs („one more thing“): Ob wir nicht eine dieser virtuellen Brillen aufsetzen und ganz Teil werden wollen von seiner Kunst? 5,00$ - ja klar! Wir nehmen Platz auf Drehhockern und bekommen jeder eine dieser topaktuellen AR-Brillen (sehen aus wie monströse Skibrillen) angepasst. Und ab geht die wilde Fahrt!! Ich fliege völlig dreidimensional durch die Gärten und Landschaften, die ich eben noch per Projektion gesehen habe. Wie lernt der Mensch? Durch Wiederholung! Ich weiß jetzt quasi immer schon vorher, was kommen wird: seine Familie, die wogenden Felder. Dann die Wasserlilien mit der Brücke, die Dampfloks, London … Da auch Geräusche und Musik projiziert werden und ich mich auf dem Drehstuhl komplett frei bewegen kann bin ich wirklich mittendrin. Nach links schauen oder drehen und nach hinten gucken? Kein Problem! Hammer!
Als ich nach 90 Minuten rauskomme aus der Ausstellung habe ich das Gefühl, verdammt viel gelernt zu haben und dem Menschen und Künstler Claude Monet sehr nahe gekommen zu sein. Kompliment für so eine didaktische Meisterleistung - das war es allemal Wert.
Wir laufen noch einmal quer durch das French Quarter - vielleicht sehen wir noch 30 Minuten Jazz am Museum? Fehlanzeige! Es beginnt wieder zu schütten - und wie! Wir retten uns in Molly’s Bar at the market. Hier trinken wir ein Getränk an der Bar. Zu Essen gibt es hier nichts. Aber: urige irische Kneipe mit viel Jameson im Regal.
Raus und weiter - da geht es wieder los. Direkt nebenan ist „Coop’s Place“. Sieht auch super aus und die Preise sind ok. Südstaatenküche - genau unser Ding im Moment. Ich nehme „Jambalaya Supreme“. Das entspricht in Etwa einer Paella, nur viel schärfer. Klasse! Huhn, Shrimps, Hase und scharfe Wurst sind neben Reis die Hauptbestandteile. Gabi hat es noch bunter: von allem Etwas: Gumbo, Creole Shrimp, Jambalaya, Fried Chicken und Beans & Rice. Alles sehr, sehr lecker, draußen vor der Tür geht die Welt unter. Der Mann neben mir bestellt einen „Redbreast 12“, große Portion - da gehe ich mit. Wir unterhalten uns eine Runde über irischen Whisky und Gabi hilft mir, meinen zu trinken.
Jetzt zurück zum Hotel. Wir wollen noch der Margret zum 60sten gratulieren und haben eine Skype-Aktion mit Hott und Birgit geplant. Im Best Western ordern wir noch eine Margarita und einen Marker’s Mark zum „anstoßen“, die Verbindung kommt aber leider nicht zustande.
So gehen wir aufs Zimmer und versorgen Bilder und Tagebuch. Es war ein toller Tag, trotz (oder gerade wegen) des Regens. Morgen geht es auf zu neuen Abenteuern! Wir sind gespannt, denn dann heißt es bestimmt wieder „Was wir so alles machen …!“ - gute Nacht!
Tagesetappe: - Kilometer
Übernachtung: Best Western Plus French Quarter Courtyard Hotel, 920 North Rampart Street, New Orleans, LA 70116